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Seite 18 | BERGSTOLZ Ski Magazin November 2011
OBERTAUERN
Ein paar Tage zuvor bin ich vor dem Bildschirm gesessen und hab’ mir die Satellitenbilder mit den
Schneefallmengen in den Alpen angeschaut. Der Alpenhauptkamm ist türkis hinterlegt. Mein Herz schlägt
schneller: 30 bis 40 Zentimeter Neuschnee! Ich greife zum Telefon und überrede Lisa aus Innsbruck, Pedro
aus dem Allgäu und Fotograf Christian Weiermann, mit Marc und mir nach Obertauern zu kommen. Das
ist unser Freeride-Geheimtipp. Seit Jahren schwärme ich ihnen von Obertauern vor, und dass man im
Salzburger Land einfach weniger Konkurrenz auf der Suche nach Powder hat.
Als wir mit dem Auto an Untertauern vorbeifahren, liegen im Tal nicht einmal fünf Zentimeter Neuschnee.
Christian fragt: „Bist du sicher, dass es hier geschneit hat?“ „Ja, ja“, antworte ich und stelle mir vor, wie
wir einen windverblasenen, harschigen Hang ’runterrutschen. Habe ich zu viel versprochen? Diese Frage
geht mir durch den Kopf. Jetzt sind sie eigens den weitenWeg aus den Freeride-Hochburgen angereist, und
ich kann gerade Mal das Familienskigebiet präsentieren, wo man mit fetten Skiern dann auch noch
komisch angeschaut wird.
Als wir mit dem Auto die Passstraße hinauffahren, nehmen die Schneemengen zu – was für eine
Erleichterung! Wir lassen das neblige Tal unter uns und machen uns auf den Weg Richtung Sonne.
Gespannt auf das, was uns erwartet, wische ich die angelaufene Seitenscheibe ab und betrachte das
Zehnerkar – die Südseite von Obertauern: Die über den Lift zugänglichen Abfahrten sind teilweise verspurt.
Ich schaue weiter rechts zur Zehnerkar-Rinne, die mit einem 15-minütigen Aufstieg zu erreichen ist: unver-
spurt. Yeah!
Nach einemWarm-Up-Run unter der Gondel entscheiden wir uns zur Rinne aufzusteigen. „Was ma hom,
des hom ma“, sagt Marc, und wir stapfen los. Als wir in die Nähe der Rinne kommen, bleibt die restliche
Gruppe am Grat zurück, während ich mich ihr vorsichtig von der Seite her nähere, um die Lawinengefahr
zu beurteilen. Der Wind war die letzten Tage nur schwach und hat die Rinne mit geringen Schneemengen
Die letzten 20 Meter bis zur Seekarspitze stapfe ich durch den knietiefen Schnee meinem Bruder Marc hinterher. Wer
beimAufstieg spurt, hat die Ehre, als Erster abfahren zu dürfen. Marc schnallt seine Telemarkski an und entsichert sei-
nen Lawinenrucksack. Vor zwei Tagen hat es stark geschneit, seither hat sich die Schneedecke gesetzt. Der 400 Meter
lange, mit Felsen durchsetzte Hang ist unverspurt. Marc sammelt sich, schnauft noch ein Mal aus und dropt über die
Wechte in den Hang. Die ersten 100 Meter lässt er seine Ski laufen, um Speed aufzunehmen. Bevor er hinter der
Hangkuppe verschwindet, zieht er einen Telemarkschwung mit riesigem Spray.
OBERTAUERN
Foto: Christian Weiermann

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