42 NORWEGEN Bergstolz Ski & Bike Magazin • 07 |2023 Sonnenlicht dem Fjord entgegen surfen. Könnte ich mir an einem grauen Herbsttag den perfekten Skitourenmoment ausmalen, ich hätte exakt diesen skizziert. Dort wo die Führerliteratur endet und die Berge keine Namen haben, genau dort haben uns Intuition und das aufmerksame Lesen des Geländes einen erfüllten Tag beschert. Besser als Netflix: der Tanz der Nordlichter am Nachthimmel Lange Tage auf Ski und die wohlige Wärme der Standheizung unseres Campers befördern uns täglich in den Tiefschlaf. In manchen Nächten aber lohnt es sich, die spät einsetzende Dunkelheit abzuwarten. Das Flimmern von Netflix und Co. kann dann getrost pausiert werden. So spektakulär wie das Flimmern der Aurora Borealis am arktischen Nachthimmel kann eine Hollywood-Produktion nie sein. Lila und grün tanzen die Nordlichter über uns. Das ruhige Wasser des Fjords spiegelt die Farben des Himmels. Für den Fotografen in mir ein Geschenk. Für uns beide magische, unvergessliche Nächte. Am Ende der Straße liegt Nuvsvåg Waren wir bisher im Süden des Øksfjord-Gletscherplateaus unterwegs, wollten wir auch das Gebiet am Nordende der Halbinsel erkunden. Nuvsvåg, ein verschlafenes Örtchen mit weniger als 70 Einwohnern. Hier endet die Landstraße 882, dort parken wir unser Mobil. Die Berge sind noch schroffer als auf der Südseite des Øksfjordjøkelen. Beim Anblick der Gletscher und Granitnadeln muss ich sofort an Chamonix denken. Wetter, Lawinensituation, verschiedenste Karten - wieder betreiben wir intensive Recherche, um am nächsten Tag loszuziehen. Wir entscheiden uns für das Jomfrudalen, südöstlich von Nuvsvåg. Ein breites Tal mit mehreren Seitentälern, großen Flanken und spannenden Gipfelmöglichkeiten. Als wir im hinteren Teil des Tales ankommen, hat die Sonne an den Südhängen den Harschdeckel aufgeweicht und in schmierigen Firn umgewandelt. Wir erklimmen einen pyramidenförmigen, namenlosen Gipfel und blicken die dunkle Nordwand hinab. Helm auf, Felle ab und schon spritzt mit jedem Schwung der grobkörnige Firn. Zurück an unserem mobilen Zuhause trocknen die Felle und Skisocken in der Nachmittagssonne. Wir genießen den obligatorischen Après-Ski-Kaffee. Für die kommenden Tage ist eine Kaltfront mit viel Wind und Niederschlag prognostiziert, Zeit für uns, Øksfjord zu verlassen. Grande Finale auf Senja und Kvaløya Mittlerweile ist es Ende April, unsere Reise neigt sich dem Ende zu. Wir sind zurück in der Gegend rund um Tromsø und peilen die Insel Senja an. Wesentlich bekannter als Øksfjord und für Freunde des Skitourensports schon längst kein Geheimtipp mehr. Mit dem Store Hesten haben wir uns einen der Paradeberge auf Senja ausgesucht. Ein ausgesetzter Gipfel hoch über dem Medfjord, traumhaftes Skigelände mit vielen Variationsmöglichkeiten an Steilheit und Exposition. Firn, Bruchharsch, Eisplatten und tiefer Sulz - Pulverschnee war keiner dabei, sonst aber so ziemlich alles. Genossen haben wir den Tag trotzdem! Im Wissen, dass dieses Skitouren-Lotterleben schon bald wieder dem Arbeitsalltag weichen wird, bleibt kein Raum, um sich über suboptimale Schneeverhältnisse zu beschweren. Der finale Akt dieser Reise führt uns nach Kvaløya, eine Insel westlich von Tromsø. Ein Highlight der zahlreichen Tourenmöglichkeiten auf Kvaløya ist die Überschreitung des Storsteinestinden mit der nordseitigen Abfahrt bis hinunter zum Ersfjord. Wir wollen unseren Trip mit dieser Unternehmung ausklingen lassen. Zum ersten Mal in diesen Wochen kommen im Aufstieg die Harscheisen zum Einsatz. Die vereiste Ostflanke wäre ohne die scharfen Helfer unter unseren Füßen, an diesem Tag eine heikle Unternehmung gewesen. Die Gipfelrast ist - wie so oft im hohen Norden - wegen des eisigen Windes nur von kurzer Dauer. Vorsichtig rutschen wir die ersten Meter über einen Grat in die Nordflanke hinein und erreichen einen Sattel westlich des Storsteinestinden. Ab hier beginnt die lange Abfahrt bis zum Ufer des Fjords. Die Nordseite hält für uns genau das bereit, wofür Nordexpositionen bekannt sind - Pulverschnee. Diese Abfahrt und diese Schwünge sind der krönende Abschluss einer spannenden und unvergesslichen Reise durch die Gebirge zwischen Polarkreis und Nordkapp. Am Ersfjord abgeschwungen führt der erste Weg in das vielleicht beste Kaffee rund um Tromsø. Bei Cappuccino und Zimtschnecken lassen wir im Bryggejentene die letzten Wochen Revue passieren. Eine Reise, auf der wir dank einer gewissen Ziellosigkeit, sehr viel entdecken durften!
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