Großvater hatte bereits Expeditionen in diese Region unternommen und dabei den damaligen Hochträger Christian kennengelernt, dem er darauf eine Skiführerausbildung in Österreich ermöglicht hatte. Unsere erste Herausforderung ist der 5.752 Meter hohe Nevado Pisco. Die Landschaft erinnert uns an Jurassic Park: Fremdartige Pflanzen mit würzigem Duft säumen den Pfad neben einem türkisblauen Bach, während sich auf beiden Seiten wolkenverhangene Granitwände erstrecken. Unser Basecamp ist eine Hütte im europäischen Stil. Leider zwingt mich eine Erkältung zu pausieren und so ziehen die Jungs alleine dem Gipfel entgegen. Über Funk verfolge ich gespannt ihren Aufstieg durch endlose, brüchige Gletschermoränen und schließlich über einen langen Grat mit feuchtem Schnee zum wolkenverhangenen Gipfel. Bei null Sicht kämpfen sie sich hinauf und fahren vorsichtig wieder ab. Erschöpft und erleichtert kehren sie nach über zwölf Stunden am Berg zur Hütte zurück. Der anschliessende Abstieg zur Straße ist für uns alle eine mentale Herausforderung, vor allem weil unser Taxi bis zum letzten Tageslicht nicht erscheint. Schon bereiten wir uns auf ein kaltes Biwak vor und ziehen all unsere Kleider an, als der Fahrer endlich doch noch auftaucht und uns in die Zivilisation zurückbringt. Unser letztes Ziel ist der 6.034 Meter hohe Tocllaraju, dessen beeindruckende Steilwand uns magisch anzieht. Nach einem zweitägigen Fußmarsch schlagen wir unser Camp auf einem spektakulären Felsvorsprung oberhalb des Gletschers auf. Die ganze Nacht hindurch lassen uns laute Gletscherabbrüche keinen Schlaf finden. Noch vor Tagesanbruch machen wir uns durch ein Labyrinth aus Gletscherspalten auf den Weg zum Gipfel. Immer wieder müssen wir über Eisbrücken balancieren oder um massive Eisblöcke herumklettern. Am Grat unterhalb des Gipfels brechen Mascht und ich schließlich alleine auf. Ein riesiger Eisblock über dem Aufstieg droht abzubrechen. Wir versuchen, diese Gefahrenzone schnell zu passieren, doch schneller als in Zeitlupe schaffen wir es nicht auf dieser Höhe. Als wir probieren, eine Abkürzung über eine Gletscherspalte zu nehmen, bricht plötzlich der Schnee unter Mascht weg und er stürzt in die Tiefe. Zum Glück hält das Seil und er kann geschickt selbst wieder aus der Spalte klettern. Die letzten Meter zum Gipfel verlangen nochmals volle Konzentration. Mascht übernimmt die Führung in der steilen Eiswand und setzt Eisschrauben zur Sicherung. Nur noch ein schmaler Grat trennt uns vom Gipfel, und die atemberaubende Aussicht belohnt uns für alle Strapazen. Aufgrund der prekären Schneeverhältnisse verzichten wir darauf, die Steilwand zu befahren, und wählen stattdessen unsere Aufstiegsroute für die Abfahrt. Es geht zurück durch das Eislabyrinth und wir müssen zweimal abseilen. Trotz dieser Schwierigkeiten ist der Tocllaraju ein würdiger und krönender Abschluss unserer Reise. Als wir erschöpft und glücklich bei einem kühlen Bier in Huaraz sitzen, lassen wir die Reise Revue passieren. Die fünf Wochen, die wir in Südamerika verbringen durften, waren alles andere als einfach oder erholsam. Fernab vom gewohnten Komfort und der Sicherheit unseres Zuhauses fanden wir uns in einem fremden Land wieder – verletzlich, den Elementen ausgesetzt und auf uns selbst gestellt. Doch gerade diese Entbehrungen, Herausforderungen und Unsicherheiten machten unsere Erlebnisse so einzigartig. Wir werden ein Leben lang mit Freude und Stolz auf dieses Abenteuer zurückblicken und sind den Locals, welche uns dabei unterstützt haben, zutiefst dankbar. 36 ANDEN Bergstolz Ski & Bike Magazin • 07/2024
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