Bergstolz Issue No. 126

18 I SLAND Bergstolz Ski & Bike Magazin • 08/2024 Bevor wir in See stechen, haben Pierre und ich noch ein Date im Sportgeschäft, um die vorbestellten Waffen abzuholen. Warum? Weil hier in Spitzbergen etwa 3500 Eisbären leben! Sobald man Longyearbyen verlässt, muss man zur Selbstverteidigung ein Gewehr mitführen. Zwischenfälle mit Bären sind zum Glück selten - enden aber in der Regel fatal, wenn man sich nicht adäquat verteidigen kann. Auf unserem letzten gemeinsamen Svalbardausflug 2022 hatten wir das „Glück“ (oder war es Pech?), keinen einzigen Bären zu Gesicht zu bekommen - neben phantastischen Erlebnissen zu Wasser und im Schnee ein Grund mehr für mich, an diesen wunderschönen Ort zurückzukehren. Und dann ist da noch Rasmus – der dänische Kapitän unseres Dreimasters, der seit über 20 Jahren durch die eisigen Gewässer zwischen Norwegen - Grönland und Svalbard schippert. Die SV Linden ist ein richtiges Schmuckstück – ein Segelschiff, das eher einem schwimmenden Hotel gleicht als einem klassischen Expeditionsschiff. Mit den drei hohen Masten und den robusten Segeln fühlt man sich fast wie in einem Abenteuerfilm, der mitten im 19. Jahrhundert spielt. Trotzdem gibt’s an Bord alles, was man für ein paar Tage in der Arktis braucht: von einem gemütlichen Aufenthaltsraum, wo man Highlights des Tages bei einem heißen Tee oder einem kühlen Bier Revue passieren lässt, bis hin zu einer gut ausgestatteten Kombüse, in der das eingespielte Kochteam für uns „arktische Spezialitäten“ zaubert. Bevor wir die SV Linden in die eisigen Gewässer entlassen, setzt Captain Rasmus ein ernstes Lächeln auf und führt uns durch das obligatorische Safety Briefing. Hier auf Spitzbergen hat Sicherheit oberste Priorität, und das wird schnell klar. Wenn die Alarmglocke bimmelt - wissen alle Bescheid: wir treffen uns auf Deck. Neben den Schwimmwesten gibt es für jeden Passagier einen Überlebensanzug aus Neopren, der das Überleben im wenig über null Grad kalten Wasser über mehrere Stunden ermöglicht. Ein weiteres Highlight des Briefings ist der spezielle Hinweis auf das „Mann über Bord“-Szenario. Natürlich hat uns der Kapitän auch auf die weitere Arktisfauna hingewiesen – besonders die Walrosse! Diese imposanten Tiere sind zwar faul und wirken eher wie entspannte Strandurlauber, aber Vorsicht: Sie fressen alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Vor zwei Jahren hatten wir großes Glück, als einer unserer Gäste nach einem Sprung ins kalte Nass gerade noch rechtzeitig die rettende Strickleiter erreichte, bevor ein Walross entschieden hatte, ihm etwas näher zu kommen. Mit einem „Huch, das war knapp!“ und einer schnellen Flucht an Bord wurde uns klar, dass es nicht nur Eisbären sind, die sich für uns interessieren. Ach ja, und bevor ich es vergesse: Jedes Mal, wenn wir nach der Sauna baden gehen, steht ein "Bademeister" mit Rettungsring parat, der im Notfall schnell eingreifen kann… In diesem Jahr gibt’s auf Spitzbergen ein Phänomen, das die Expedition noch ein wenig spannender macht: Massen von Treibeis! Soweit das Auge reicht, schiebt sich das Eis in die Fjorde und versperrt uns den Weg. Als ob der Arktis-Winter noch ein bisschen länger bleiben möchte, zwingen uns die Eisschollen eine zusätzliche Nacht im Hafen von Longyearbyen zu verbringen. Wir machen das Beste aus der Situation und entschei-den uns für den Plan B. Mit unseren beiden Zodiacs (Greenpeace like Gummiboote ) überqueren wir kurzerhand den Fjord, um unseren ersten Skitourenausflug zu starten. Bei sehr mässigen Schneebedingungen und zu guter Letzt auch noch schlechter Sicht, lassen wir es auf einer unbenannten Graterhebung gut sein und tasten uns wieder hinunter zum Fjord. Skifahren am Ende der Welt bedeutet nicht immer automatisch beste Schneequalität. Wer auf der Suche nach den besten Schneebedingungen ist, bleibt besser zu Hause in den Alpen und steuert flexibel die Region mit dem potentiell besten Schnee an. Was hier zählt ist das Abenteuer in einer fantastischen Landschaft mit 24 Stunden Tageslicht. Ausgefroren, aber glücklich kommen wir pünktlich zum Abendessen wieder auf die Linden zurück. Die Passage aus dem Fjord ist mittlerweile eisfrei, und jetzt geht es endlich los. Rasmus steuert uns gekonnt in die wilden Gewässer der Arktis – und das bei malerischem Abendlicht, das den Horizont in ein unvergessliches Spektakel taucht. Was gibt es Schöneres?

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