Simon Quendler Text Lisa Hechenberger Foto Susanne Enzenberger HEROES Auf den ersten Blick sieht das Atelier von Simon Quendler so aus, wie man sich die Werkstätte eines Künstlers vorstellt: unverputzte Wände, ein rustikaler, befleckter Steinboden, und überall hängen, lehnen und liegen halbfertige bis fertige Bilder. Doch bei genauerer Betrachtung fallen ein paar Besonderheiten auf. Etwa die Atemmaske, die auf dem kleinen Tisch bereitliegt, obwohl es nicht nach Farbe riecht. Pinsel sucht man vergeblich. Ein dezenter Glitzerstaubfilm hängt in der Luft. Und es ist auffallend kalt in dem Souterrain-Raum im gehobenen und sehr grünen 19. Wiener Bezirk. „Im Winter bekomme ich die besten Reaktionen bei achtzehn bis zwanzig Grad“, erklärt der gebürtige Kärntner. Damit meint er nicht etwa das Feedback von Betrachtern, sondern die Bilder selbst. Denn statt herkömmlicher Farben mischt er Chemikalien wie Kaliumsorbat, Cadmiumsulfid oder Aluminiumsilikat mit Stoffen wie Vulkanasche oder verschiedenen Emulsionen. Als Untergrund dienen ihm Leinwände, aber auch bis zu 20 Kilogramm schwere Kupferplatten, die ein besonderes Spiel aus Licht und Reflexionen ermöglichen, auf die er die Stoffe zeitlich sehr präzise einträufelt. Zusätzlich kommen Goldpartikel, Diamanten und Saphire zum Einsatz. Kurz: Was Simon Quendler hier schafft, ist fernab von dem, was man unter herkömmlicher Kunst versteht. Zurück zum Ursprung Gemalt habe er eigentlich immer, sagt er, mit zwanzig habe er sich dann bewusst für diesen Karriereweg entschieden – damals noch mit Stift, Farbtopf und Pinsel. „Ich bin aber schnell an den Punkt gekommen, wo mein Interesse abgeflacht ist, weil die Möglichkeiten dieser Materialien so begrenzt sind.“ Darum beginnt er, sich mit Mitteln zu beschäftigen, die eher in Labors statt Ateliers genutzt werden, taucht tief in die Kunsthistorie ein, um so viel wie möglich über Urfarbtöne herauszufinden, und tauscht sich intensiv mit Archäologen, Chemikern und Biotechnologen aus. Mittlerweile hat er sich ein weltumspannendes Netzwerk an Experten, Produzenten und Lieferanten aufgebaut, die ihm diese Materialien zur Verfügung stellen. „Ich prüfe alles und weiß, dass meine Stoffe unbedenklicher sind als die der klassischen Farbindustrie.“ Genauso international sind die Fans seiner Kunst, speziell im südostasiatischen Raum gibt es viele Sammler und Galerien. Aber auch in Europa wurden seine Werke gezeigt, etwa im Bank Austria Kunstforum in Wien oder im Diözesanmuseum Bamberg. Painting by doing In der Praxis arbeitete Quendler anfangs nach dem Trial-and-Error-Prinzip. „Eine Zeit lang habe ich viel zu viele Materialien verwendet und konnte keine Rückschlüsse ziehen, warum sich etwas wie verhält.“ Heute hat er ein unglaubliches Wissen angehäuft, versteht das Zusammenspiel der Wirkstoffe und zählt zu den Pionieren der Reaktionskunst – mit Hang zum Extremen. „Ich habe sogar mal meine Ernährung umgestellt. Wenn man Fleisch und säurehaltige Lebensmittel konsumiert, lagert der Körper Selen und Cadmium ein, was im Malprozess abdampft. Das kann in den ersten Stunden tatsächlich ein Bild beeinflussen.“ Zum Teil entwickeln sich die Kunstwerke über Wochen, Monate, sogar Jahre weiter, sofern Quendler den Vorgang nicht früher stoppt. „Was nicht heißt, dass es immer funktioniert“, wie er lachend hinzufügt. Eben weil sie trotzdem empfindlich auf Licht, Temperatur oder die Feuchtigkeit im Raum reagieren können. Da kann auch ein Lichtspot im Museum dazu führen, dass sich Farben ausdehnen und Bilder regelrecht auslaufen. „Manchmal rufen mich Sammler an und sagen: ‚Das Werk hat sich verändert.‘ Dann schaue ich in meiner Datenbank nach, warum das passiert ist.“ Transformieren und loslassen Sein Schaffen ist aber nicht nur intellektuell herausfordernd, sondern geht auch körperlich an die Substanz. „Die Kupferplatten liegen auf dem Boden, ich stehe zum Teil über Stunden darüber gebeugt und trage eine Maske, um keine Dämpfe einzuatmen“, erklärt er den Malvorgang. Nicht selten verlässt er das Atelier total erschöpft, wie er sagt. Doch, auch das betont er, er habe gelernt, wann es an der Zeit ist, sich zurückzuziehen und den Dingen seinen Lauf zu lassen. Das sind für Simon Quendler ohnehin die zentralen Themen: Transformation und Loslassen. „Wir leben in einer Zeit, in der das Sterben tabuisiert wird und jeder über Longevity redet. Doch eigentlich ist alles ein Transformationsprozess – wir wissen nur nicht genau, was passiert.“ Was den Künstler antreibt, ist und bleibt die Neugier. „Es ist wie bei Menschen, die viel reisen. Man will immer mehr entdecken, auch wenn man weiß, dass man niemals alles ergründen wird.“ Am Ende ist es die Mischung aus Wissenschaft, Kunst, Philosophie und Unberechenbarkeit, die Quendlers Werke so einzigartig macht. Weil sie mehr als Bilder sind. Nämlich scheinbar lebendige Wesen, die uns daran erinnern, dass das Leben selbst ein ständiger Prozess der Veränderung ist. On point Geboren in: Wernberg, Kärnten; lebt in Wien; Alter: 41; Lieblingsmaterial: Natriumpolysulfid, eine eigentlich blaue Substanz, die sich von Türkis bis Schwarz verändern kann; größter Luxus: nur noch mit Menschen zu arbeiten, die er mag und schätzt Alle Infos zu aktuellen Projekten und Ausstellungen unter: simonquendler.com; Instagram: @simonquendler löst Reaktionen aus – vor allem biologische und chemische. Denn die Werke des Künstlers gleichen Experimenten voller Überraschungen. Auch für ihn selbst. 22 THE RED BULLETIN
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