WINTER-SPECIAL the red bulletin: Wunderst du dich manchmal über dich selbst? andreas wellinger: Eigentlich nicht. Sollte ich? Ein Skisprung dauert inklusive Anlauf und Landung nur zehn, zwölf Sekunden. Und diesen kurzen Moment perfektionierst du, seit du sechs Jahre alt warst, also seit fast einem Vierteljahrhundert. Warum investierst du so viel Leben in so wenig Zeit? Über die Frage habe ich noch nie nachgedacht. Ich bin schon als kleiner Bub beim Skifahren über jeden Schneehügel gesprungen. Das Springen war schon ganz früh meine Leidenschaft – und das ist es bis heute. Es fühlt sich großartig an, durch die Luft zu fliegen. Es lässt sich kaum beschreiben. Und gleichzeitig ist so ein Flug harte Arbeit, das Ergebnis von Andreas Wellinger kauert auf dem Startbalken. Er stößt sich ab, rast die Schanze hinunter – 90 Stundenkilometer schnell –, springt, legt sich in die Luft, fliegt und fliegt. Landet. Jubelt. Kaum ein anderer deutscher Wintersportler fasziniert die Menschen so sehr. Kaum einer ist so erfolgreich: Zwei Mal hat Wellinger bei Olympischen Spielen schon Gold gewonnen, zwei Mal auch bei Weltmeisterschaften. Doch allen Höhen- und Weitflügen zum Trotz ist er kein abgehobener Typ, sondern ein bayerischer Naturbursche und Champion der guten Laune. Mit dem Fotografen macht er Witze, mit dem Physiotherapeuten spricht er im breitesten Dialekt – und wechselt ansatzlos auf Hochdeutsch. Genauso leicht gelingt ihm der Wechsel von Leichtigkeit zu Ernst: Eben hat er noch eine Interviewfrage beantwortet, nun absolviert er schon mit absolutem Fokus eine Gleichgewichtsübung, dann eine Serie beidbeiniger Sprünge – irre hoch, irre mühelos, als würden für ihn die Gesetze der Schwerkraft nicht gelten. Wir haben Andreas Wellinger einen Vormittag lang im Red Bull Athlete Performance Center bei Salzburg beim Training begleitet – und dabei einen großen Sportler und Menschen kennengelernt. 38 THE RED BULLETIN
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