WINTER-SPECIAL Du bist extra in die Nähe von Salzburg gezogen, um regelmäßig im Athlete Performance Center von Red Bull zu trainieren. Welche Übungen kannst du abseits der Schanze machen? Ganz viele unterschiedliche Übungen, zur Verbesserung von Stabilität, Koordination, Kraft, Explosivität. Einbeinige Sprünge mit Gewicht machen mir zum Beispiel viel Spaß: Aus einer tiefen Kniebeuge und einer waagrechten Oberschenkelposition den Körper möglichst explosiv in die Luft zu bringen – das finde ich großartig. Du bist im Alter von 17 Jahren im Weltcup gestartet, hast gleich mehrere Podiumsplätze geholt – und in der Folgesaison dann sogar gleich Gold in der Mannschaft bei Olympia 2014. Wie sähe ein körperlicher Vergleich zwischen dir heute und dem jungen Wellinger von damals aus? Der Andreas Wellinger von heute ist stärker. Ich würde sagen, dass mein Körper noch nie so stark war wie zurzeit. Es ist das Privileg eines Athleten, seinen Körper genau zu kennen und zu beherrschen. Und dabei kann man immer noch besser werden. Gerade habe ich mit meinem Physio daran gearbeitet, bestimmte Muskeln im unteren Rücken anzusteuern. Und ich weiß mittlerweile auch, dass ich im Training häufige Reize und Intensität brauche. Dadurch bin ich auf dem Schanzentisch präsent, und meine Muskulatur kann schnell und effektiv zucken. Auf der Jagd nach Perfektion gab es für dich Höhen und Tiefen. 2018 hast du deinen bisher größten Erfolg erzielt und bei Olympia Gold und zwei Mal Silber geholt. Etwas mehr als ein Jahr später dann ein Unfall im Training: Kreuzbandriss im Knie. Die ersten Tage nach der Verletzung waren zum Kotzen. Bei der Operation wurde mir nicht nur eine Kreuzbandplastik eingesetzt, sondern auch die beiden Menisken genäht. Ich durfte das verletzte Bein zwei Monate kaum belasten. Wenn du mit zwei Krücken läufst, kannst du noch nicht einmal eine Kaffeetasse von der Küche ins Wohnzimmer tragen. Danach musste ich erst mal wieder das Gehen lernen. Damit hatte ich mich zum letzten Mal als Kleinkind beschäftigt. Durch solche Erfahrungen wird man aber Done! Nach dem Training legt Andreas eine kurze Pause ein – zum Durchatmen und Kräftesammeln. Darum geht es sicherlich auch. Natürlich wollen auch wir Athleten Chancengleichheit und Fairness. Aber das ändert ja nichts daran, dass neue Regelungen immer auch große Umstellungen für uns Springer bedeuten. Im Skispringen gibt es kaum Athleten wie Messi, Federer oder Bolt, die ihren Sport über ein Jahrzehnt oder sogar länger dominieren. Liegt das auch an den vielen Regeländerungen, dass häufig Skispringer, die den Weltcup in einer Saison komplett dominieren, im darauffolgenden Jahr auf den hinteren Plätzen landen? Zumindest sind die Regeländerungen ein großer Faktor. Gewisse Änderungen kommen einigen Athleten zugute, anderen überhaupt nicht. Skispringen ist die Kunst, aus dem, was vorgegeben wird, das Beste zu machen. Wo stehst du gerade in dieser Kunst? Ich finde heraus, wie sich mit den neuen Regeln das System aus Ski, Schuh, Anzug und meinem Körper aufbaut: wie ich nun den Ski führe, wie das Spannungsverhältnis vom Anzug über den Schuh zum Ski ist, wie ich mit der Luft spiele und weit fliege. Daneben arbeite ich auch an Fehlern, die ich schon ganz lange mit mir herumtrage. So schlimm können die nicht sein. Du bist mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger … Na ja, das Skispringen erfolgt am Ende sehr intuitiv, und viele Bewegungsmuster haben sich seit Kinder- oder Jugendtagen verfestigt. Zum Beispiel bewege ich im Anlauf oft meine Knie etwas zu weit nach vorne. Dadurch krümme ich meinen Rücken zu sehr. Und weil ich das wieder korrigieren muss, entsteht eine Wellenbewegung, durch die ich Stabilität beim Absprung und Flug einbüße. Solche Fehler sind ganz schwer rauszubekommen. Wie viele Sprünge machst du pro Jahr? Im Wettkampf und Training zusammen sind es vielleicht 600. Man hat also auch im Training gar nicht so viele Chancen, sich zu verbessern. Vom Körper her könnte man viel mehr Sprünge machen. Aber für einen guten Sprung muss die Konzentration enorm hoch sein. Und sobald der Kopf müde wird, werden auch die Sprünge schlecht. Deswegen ist Qualität wichtiger als Quantität. Aber natürlich arbeiten wir auch viel an der Koordination, an der Athletik. Ich mache zum Beispiel Tausende Sprünge am Boden. 41 THE RED BULLETIN
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