Bergstolz Issue No. 133

in Form bin. Aber ich kenne auch Nächte, in denen ich nicht einschlafen konnte und die Gedanken kreisten. Die Anspannung vor einem Wettkampf kann großartig sein – aber auch grausam. Was tust du konkret gegen kreisende Gedanken? Ich habe gelernt, dass man negative Gedanken nicht einfach wegschieben kann. Es geht eher darum, nicht so viel zu bewerten, die Gedanken schweifen zu lassen, an angenehmere Dinge zu denken. Aber trotzdem muss es einen doch wahnsinnig machen: Du hast nur zwei Sprünge, zweimal acht oder zwölf Sekunden, um alles richtig zu machen – oder alles falsch. Ein Fußballer dagegen erhält im Laufe von 90 Minuten immer wieder die Möglichkeit, sich unter Beweis zu stellen. Es ist noch extremer. Ob ein Sprung überhaupt gelingen kann, entscheidet sich in der Dauer eines Fingerschnipsens, beim Absprung. Aber das ist eben der Reiz unseres Sports. Du musst auf den Punkt genau dein Bestes bringen. Es muss funktionieren wie aus einem Guss, wie an der Schnur gezogen. Profis schaffen es, schwere Dinge leicht aussehen zu lassen. Und diese Leichtigkeit von einem gelungenen Sprung, von einem gelungenen Flug, die ist durch nichts zu ersetzen. Für dieses Gefühl arbeite ich so hart. „Mein liebstes Hobby ist Surfen. Kämpfe ich mit den Wellen, ist mein Kopf frei.“ Skispringen ist prinzipiell ein 24/7-Sport. Du kannst ständig weiter grübeln, über die Ernährung, den Schlaf, den Ski, und das mache ich auch viel. Aber du brauchst auch Abwechslung und Erholung, sonst bist du im Training und Wettkampf nicht wach genug. Wir trainieren zum Beispiel einen Tag die Woche gar nicht. Es ist auch mal okay, eine Tafel Schokolade zu essen. Ich habe eh einen guten Stoffwechsel. Mein liebstes Hobby ist Surfen. Wenn ich draußen mit den Wellen kämpfe, ist mein Kopf ganz frei. Wie gehst du in der Saison mit dem Druck um? Die vergangene Saison war sehr erfolgreich. Du hast Silber bei der WM geholt, die Raw-Air-Tournee gewonnen. Geht in der kommenden Saison vielleicht noch mehr? Es ist schon lange her, dass ein Deutscher die Vierschanzentournee gewonnen hat. Außerdem steht Olympia an. Natürlich gibt es hohe Erwartungen an dich. Ich habe früher diese Erwartungen zu nah an mich herangelassen. Es ist ein weiterer Vorteil des Älterwerdens, dass ich jetzt besser damit umgehen kann. Ich habe verstanden: Ich muss diese Erwartungen nicht übernehmen. Und ich selbst erwarte von mir keine Siege, dafür ist das Skispringen einfach viel zu unkalkulierbar. Ich will in der Lage sein, um Siege mitzuspringen. Und ich bewerte nicht den erzielten Platz, sondern frage, ob ich das Optimum herausgeholt habe. Das ist ein großer Unterschied. Sportler berichten oft, sich auf den Wettkampf zu freuen: Stimmt das? Ich würde schon sagen, dass ich mich auf jeden Wettkampf freue. Die Freude ist größer, wenn ich weiß, dass ich gut Instagram: @andreaswellinger 43 THE RED BULLETIN

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