Bergstolz Issue No. 82
LOS ANGELES 17 ehemalige Weltcup-Siegerin und Weltmeisterin hat das Radfahren jedenfalls nicht verlernt, und ich half ihr gerne mit ein paar Rädern für diesen Trip aus. Wir hatten einen unglaublichen Blick von unserem Ausgangspunkt am Mount Wilson Observatorium über die gesamte Stadt bis hin zu Catalina Island, wo wir unsere Reise in wenigen Tagen beenden würden. Direkt hinter uns gab es kein einziges von Menschen- hand errichtetes Bauwerk, nur Natur: Wälder, Canyons, Bergrücken, Flüsse, Wasserfälle und Wild- tiere trennen L.A. von der Wüste. Hier verirrt man sich leicht, die Single Trails sind Weltklasse und oft sehr technisch. Teilweise sind ausgesetzte Stellen wie die 30 Meter lange Wasserfalltraverse zu meistern, wo sich Fahrfehler schnell fatal auswirken können. Und dazu sollte man neben Schlangen und Bären auch noch die Gifteichen im Auge behalten. Reagiert man nämlich allergisch – wie ich – dann führt der Haut- kontakt zu einem bösen Hautausschlag, der tagelang zum Verrücktwerden juckt. Die Nacht verbrachten wir in Pasadena, von wo aus wir am nächsten Tag unsere erste Stadtetappe in Richtung Downtown auf E-Bikes in Angriff nahmen. Timmy C und Tony Z stießen zu unserem Team. Tony, ein Freund von mir aus Laguna Beach, inspi- rierte uns zu den urbanen Etappen des Trips. Ich kenne niemanden, der so viel weiß über die Viertel, Parks, Flussdeltas, Treppen und Abkürzungen unserer Stadt wie Tony. Es bedurfte viel Recherche, um all die einzigartigen, versteckten Routen, die außergewöhn- lichen Gebäude und geheimen Verbindungen dazwi- schen zu finden. Und das alles im Gegensatz zwischen arm und reich, zwischen Natur und Stadt- entwicklung, zwischen Geschichte und Kulturleben. Die E-Bikes erwiesen sich als optimales Fortbewe- gungsmittel, und seid sicher: Die Motorunterstützung hat uns nicht davor bewahrt uns anzustrengen! An diesem einen Tag machten wir mehr als 1.500 Höhenmeter, einschließlich einiger wirklich steiler An- stiege und Treppen. Timmy nahm gleich zu Beginn einen Sprung vor dem Rathaus, bei dem er als Profi- musiker besser keinen Crash hinlegt. Hat aber alles geklappt und ich hab mich innerlich dafür bedankt, dass ich nicht seinen Bandkollegen beichten musste, dass die geplante Tournee leider ausfällt…Timmy ist ein extrem erfahrener Mountainbiker, seit über 25 Jahren auf dem Bike unterwegs. Er nimmt sein Bike mit auf Tournee, hat das Leadville 100 und das Race Across America überstanden und in einem Jahr mehr als eine Million Höhenmeter auf Strava abgespult. Timmy liebt technische Herausforderungen auf dem Bike, insbesondere die Klettereien. Es gab Sektionen, wo er x Mal rauf und runter ist, bis er sie gemeistert hat ohne einen Fuß vom Pedal zu nehmen. Timmy und ich fahren gerne E-Bike.Wir glauben nicht, dass es das reguläre Bike ersetzen wird, aber es gibt Einsatzbereiche für beide. Die Unterstützung durch den Elektromotor eröffnet völlig neue Möglichkeiten, und irgendetwas Magisches passiert, wenn jemand auf einem E-Bike sitzt: Denn alle Menschen fangen zu grinsen an – selbst die größten Kritiker, wenn sie es tatsächlich ausprobieren. Dank GT, Fox, Clif, Stans und Shimano hatten wir genug Fahrräder für die gesamte Crew und auch Missy, die nie zuvor eines gefahren war. Sie liebt jede Art von Zweirad und es dauerte nicht lange, bis sie auf dem GT eVerb abging. Wir ließen die Stadtgrenze Pasadenas hinter uns und stiegen in das Flußbett des Arroyo Seco ein. Kreuz und quer fuhren wir durch die verschiedenen Viertel und Nachbarschaften bis zum Mount Washington, wo wir uns einen Burrito mit Aussicht gönnten: Die Silhouette Downtowns vor uns, Mount Wilson hinter uns. Bevor wir uns auf ins Stadtzentrum machten, entdeckten wir noch einen großartigen Trail hoch über der Interstate 5 in der Nähe des Dodgers Stadium. Von Radio Hill aus fuhren wir hinunter nach China Town, zuvor mussten wir allerdings noch durch mehrere Ob- dachlosen-Viertel wo provisorische Behausungen aus Pappe und Karton aufgestellt waren. So gefährlich diese Viertel für Vorstädter auf teuren Bikes sein mögen, es war wesentlich erschreckender und traurig, das Ausmaß der Armut inmitten des glamourösen L.A. zu sehen. Neben dem Freeway, unter Brücken, in Parks und in einigen Gegenden wie Skid Row, ganze Häuserblocks entlang finden sich Behelfslager aus Kartonagen und Zelte auf den Bürgersteigen. Viele schieben ihr gesamtes Hab und Gut in „geliehenen“ Einkaufswägen durch die Gegend, überschattet von den modernen Wolkenkratzern der Stadt. Auf unseremWeg in die Innenstadt kamen wir an der Bruce Lee Statue in China Town vorbei, wir rasten durch das Bonaventure Hotel und das World Trade Center, wir konnten der Freitreppe vor der Walt Disney Concert Hall nicht widerstehen und hinter- ließen Reifenspuren: Skid marks on Skid Row! Ein böser Crash erinnerte mich daran, dass ich erstens keine 20 mehr bin und zweitens nicht auf meinem Trial-Bike unterwegs. Zum Glück konnte ich zwar mit Schmerzen und einigen Prellungen, aber ohne gebro- chene Knochen davonhumpeln. Tag drei begann am Griffith Observatorium mit aber- mals atemberaubendem Blick über die Stadt. Wir wollten mit unseren E-Bikes bis zum Santa Monica Pier kommen. Natürlich mussten wir am weltberühm- ten Hollywood-Schild vorbeifahren, die Treppen der berüchtigten Hollywood Bowl überfallen, um die 2500 Hollywood Stars auf dem Hollywood Boulevard herumslalomieren, nach Mulholland hinauf fahren und die Dirt Trails im Franklin Canyon Park probieren – um danach zwischen den Villen der Reichen und Berühmten in Beverly Hills auszusteigen. Wheelies am Rodeo Drive zwischen Lamborghinis und Rolls Royces, bevor wir am Baywatch (offiziell Pacific Blue)- Strand in Santa Monica ankommen. Jackpot! Es ist Wochenende und wir können das verrückte Treiben am Venice Beach und dem Santa Monica Pier mit all seinen Künstlern, Musikern, Touristen, Sportlern, Tänzern und Attraktionen hautnah miterleben. Zurück auf unseren normalen Bikes geht es auf Etappe 4 auf Timmys Hometrails in die Santa Monica Mountains. Wir geben uns einen langen Abschnitt des Backbone Trails, der diese Berge hoch über Ma- libu durchquert. Von Yerba Buena aus radeln wir den ganzen Weg entlang der Pepperdine University auf unberührten Singletracks durch abgelegenes Hinter- land, Schluchten, Täler und entlang panoramischer Gratlinien hoch über dem Ozean. Der Wind blies heftig und die Waldbrandgefahr war hoch, besonders nachdem in den vergangenen Wochen mehrere große Waldbrände gewütet hatten. Wir hatten sehr großes Glück, dass wir die Trails zu dieser Zeit überhaupt fahren durften… Dieser Tag war einer von denen, die man nie mehr vergisst: Good company, lange Trails und viel Zeit im Sattel, eine gute Mischung aus technischen und flowigen Passagen – absolut empfehlenswert! Wir hatten einiges zu lachen, Missy auf einem meiner alten Sensor-Bikes, Timmy auf seinem Enduro und ich auf dem GT Force. Unser letzter Trail des Tages führte Bergstolz Ski & Bike Magazin • 02 | 2019
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