bergstolz

1000 Days


Text: Regina Mayer / Foto: Max Draeger

Höhen und Tiefen, Licht und Schatten, ungerade Linien – der Blick vom Gipfel erzählt einiges über den Weg, welchen wir dorthin zurücklegen müssen. Über die kleinen Glücksmomente, aber auch die großen Herausforderungen, denen wir dabei begegnen. Für manche wird der Weg dadurch unmöglich, für manche dauert er Jahre und manche benötigen dafür genau 1000 Tage. 1000 Tage. So lange ist es her, seitdem Chris Ebenbichler, passionierter Skifahrer und Trainer am Olympiazentrum Tirol, einen folgenschweren Unfall erlitt.

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Und nun steht er hier, erstmals wieder auf Skitour und auf einem „richtigen“ Gipfel. „So müssen sich meine SportlerInnen wohl bei einem großen Sieg fühlen“, beschreibt Chris das Erleben seines ganz eigenen Erfolgs. Auf Skitour zu sein – das Unmögliche möglich gemacht Am 21. März 2021 verändert sich Chris‘ Leben auf einer ganz normalen „Sonntagsskitour“, wie er sie nennt, jäh. Mit vollem Speed kracht er bei der Abfahrt gegen einen Baum. Und bricht sich dabei nicht nur seinen linken Unterschenkel. Er reißt sich jedes Band im Knie und erleidet massive Gewebeschäden, die schließlich zu Transplantationen führen. Auch in ihm selbst zerbricht in diesem Moment etwas. Der Mensch, der er mal war, ist von nun an nicht mehr existent. Was folgt, sind schwierige Zeiten. Über eine Woche lang lebt Chris in der Ungewissheit, ob sein Unterschenkel amputiert werden müsse. Schließlich behält er das Bein. Doch Skifahren, so sind sich seine ÄrztInnen einig, wird er von nun an nicht mehr können. Es vergehen Wochen des Grübelns, des Haderns und immer wieder die Frage nach dem „Warum“. Während auf Instagram FreundInnen und Bekannte weiterhin Bilder von Skitouren posten, liegt Chris im Krankenhaus – ausgebremst vom Schicksal. Ein Physiotherapeut erzählt ihm bei einer seiner Behandlungen beiläufig von seinem Skitourentag – ihm, der den ÄrztInnen zufolge nie wieder auf Ski stehen wird. Ihm, der als Dreijähriger, statt in den Kindergarten zu gehen, lieber den ganzen Tag am Berg beim Skifahren verbrachte. Ihm, für den die Berge „einfach alles“ bedeuten. Wenn er eines den ganzen Tag machen und davon leben könnte, so wäre es das Skifahren. Die Ruhe, die er dabei verspürt, ist nirgendwo sonst zu finden. Diese Ruhe im Kopf – die fehlt. Gerade jetzt, wo er sie am meisten braucht.

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In diesem Moment im Krankenhaus ist er zu 100 Prozent überzeugt, dass er nie wieder mit Ski auf einem Gipfel stehen wird. Stattdessen steht Chris an seinem ganz persönlichen Abgrund im Leben. Trotzdem gibt er nicht auf. Langsam beginnt er, seine Situation zu akzeptieren und seine Energie für die Rehabilitation einzusetzen. Für das Weiterkommen, nach vorne, Schritt für Schritt. Zunächst ins Ungewisse hinein. Doch mit den Fortschritten wächst auch die Zuversicht. All sein Wissen als diplomierter Sportwissenschaftler und die Erfahrung als Trainer helfen ihm in dieser Zeit. Er trainiert sich selbst – seinen Körper und vor allem seinen Geist. Und so steht er nun, genau 1000 Tage nach seinem Unfall, wieder am Ausgangspunkt einer Skitour. Zusammen mit Skitouren-Kollege Fabio Keck und einem Filmteam. Zweifel kreuzen Chris‘ Gedanken: „Bin ich der Tour gewachsen? Was, wenn ich es nicht schaffe?“ Doch dann geht er los. Setzt einen Schritt vor den anderen. Nur nicht nach links und rechts schauen, nicht grübeln, sich nicht vom Weg abbringen lassen. Einfach Vertrauen haben. Mit jedem Schritt, den sich Chris emporschraubt, sammelt er Zuversicht. Zuversicht, dass er dieser Tour gewachsen ist, dass es heute läuft und dass es ein toller Tag wird. Das Glitzern des Schnees, die klare Luft und endlich wieder diese Ruhe im Kopf. Das gibt Selbstvertrauen.

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Nach 1000 Tagen steht er dort, wo man ihm prophezeit hat, dass er niemals wieder stehen würde: am Gipfel eines Berges – erklommen auf Ski. „Surreal“ fühlt sich das an und „unpackbar“. Es ist Chris‘ ganz persönlicher Olympiasieg. Was zählt, sind nicht die Höhenmeter, die Schwere der Tour oder der Vergleich. Es zählt einzig und allein, hier zu stehen, es bis hierhin geschafft zu haben. Allen Behauptungen zum Trotz. Und das mit Menschen, die man gerne mag. Heute hier am Gipfel – 1000 Tage nach seinem Unfall – ist Chris ein anderer Mensch. „Nicht mehr so ein arger Trottel wie vorher“, meint er nachdenklich. Oder einfach ein Mann, der Abgründe kennengelernt und sich aus diesen konsequent, Schritt für Schritt und mit dem festen Glauben daran, dass es gut wird, herausgekämpft hat. Denn damit, so ist Chris überzeugt, lässt sich jede Krise im Leben meistern.

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Mit der festen Überzeugung, dass es gut wird und dem nötigen Aktionismus.
Nur nicht stehen bleiben. Nur nie umdrehen. Auch wenn es schwierig wird. So wie auch heute – denn der schwierigste Teil der Tour steht noch bevor: die Abfahrt. Der Teil, bei dem vor so vielen Tagen der Unfall geschah. Der Teil, welcher sein Leben schlagartig veränderte. Chris schultert seinen Rucksack und macht sich bereit. „Ready, Dropping in 3, 2, 1…“ Ein kurzer Moment des Zauderns. „Hallo, fahr ma?“, fragt Fabio. „Ja, fahr ma“, sagt Chris – und fährt los. Hinein in den weißen Powder. Und hinaus aus den schwarzen Gedanken an den Unfall und dem „Was wäre, wenn?“. Und dann, auf einmal, ist alles, wie es immer war. „Die Abfahrt hat sich einfach ziemlich gut angefühlt“, erinnert sich Chris später. „Und der Moment, in dem ich unten war, der ist einfach nicht in Worte zu fassen.“ Nicht in Worte zu fassen – das ist eigentlich die ganze Geschichte von Chris Ebenbichler.

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Der Weg, den er in diesen 1000 Tagen zurückgelegt hat. Das Auf und Ab aus Erfolgserlebnissen und Niederschlägen. Das sich immer wieder aufrappeln, nicht aufgeben und sich jeden Tag aufs Neue motivieren. Das, was möglich ist, wenn man nur fest daran glaubt und alles dafür gibt.




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