bergstolz

BACKYARD


Fünf der herausforderndsten Big-Mountain-Lines am Arlberg an nur einem Tag.
Text: Sophie Oettl / Fotos: Christoph Johann, Tim Marcour

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Die morgendliche Stille wird von einem Wecker durchbrochen. Die ersten Sonnenstrahlen sind noch nicht zu sehen, als die zweifache Freeride-World-Tour-Champion Nadine Wallner aufsteht, um eine Mission zu starten, die sie seit Langem geplant hat: Fünf der herausforderndsten Big-Mountain-Lines am Arlberg an nur einem Tag zu bewältigen. Mit jedem Schritt steigt die Spannung, doch die Faszination, ihren „Backyard“ zu erkunden, treibt sie voran.

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„Mein Dreamday beginnt, wenn der Schnee gut ist“, erklärt Nadine. „Dann will ich von frühmorgens bis abends jede Minute nutzen, man weiß nie, was der nächste Tag bringt.“ Denn wechselnde Bedingungen saind am Berg täglich Brot. An einem Tag können Wetter, Schneebedingungen und Lawinengefahr perfekt sein, doch schon am nächsten kann alles ganz anders aussehen. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf, war es für sie nur logisch, diese Herausforderung an einem Tag zu beschreiten. Die Route, die sie plante, verbindet die legendärsten Abfahrten der Region – von der Albonakopf-Abfahrt im Osten bis zur Eisentalerspitze im Westen – 29 Kilometer und mehr als 3000 Höhenmeter warten auf sie und ihr Team. „Wobei es nie darum ging eine bestimmte Kilometeranzahl oder Höhenmeter zu erreichen, vielmehr standen die Abfahrten und das Freeriden für mich im Ordergrund. Der Rest hat sich dann lediglich so ergeben“, betonte Nadine bei unserem Gespräch

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Der Weg zur Mission
Die Idee für dieses Freeride-Projekt entstand nicht über Nacht. „Es ging nie darum, eine bestimmte Kilometeranzahl oder Höhenmeter zu sammeln“, betont Nadine. „Vielmehr standen die Abfahrten und das Freeriden immer im Vordergrund. Der Rest hat sich dann lediglich so ergeben.“ Die Verbindung dieser fünf Lines an einem Tag war eine natürliche Konsequenz aus ihrer Liebe zur Region und ihrem ständigen Drang, neue Herausforderungen zu meistern.

Trotz ihrer Erfahrung als Freeriderin war eine gründliche Vorbereitung unerlässlich. Nadine und ihr Team mussten das Wetterfenster genau im Auge behalten. „Das Wetter spielt oft nicht so mit, wie man es gerne hätte“, erklärt Nadine. Sie definierten daher ein dreitägiges Zeitfenster. Einen Tag vor dem Start sahen die Wetterprognosen vielversprechend aus und das Team setzte spontan einen Call auf, und dann war es beschlossen: Der nächste Tag sollte es sein.

Nadine übernahm die komplette Routenplanung und die Entscheidungen am Berg – von der Einschätzung der Lawinengefahr bis zur Wahl der Abfahrten. „Besprochen und abgestimmt habe ich mich natürlich mit meinen Kollegen, aber die Entscheidungen am Berg lagen bei mir“, sagt sie. Um einen Berg mit einer guten Gruppe und einem oder mehreren Bergführern zu besteigen, reicht oft eine solide Fitness. Aber um diese Herausforderung eigenständig zu meistern braucht man, wie Nadine, viel Erfahrung, fundiertes Wissen und die Fähigkeit, rechtzeitig zu erkennen, wann es zu gefährlich wird und man besser umkehren sollte.
Bereits im Vorfeld machte Nadine sich einen groben Plan und schätzte die Distanzen ab. Sie kam zu dem Schluss, dass die Route mit ihrer Fitness machbar wäre. Einen detaillierten Routenplan gab es allerdings nicht – der Arlberg ist schließlich ihr „Backyard“, und ihre Ortskenntnisse gaben ihr einen klaren Vorteil. „Ob es nun 2.800 oder 3.500 Höhenmeter wurden, spielte für mich letztlich keine große Rolle.“
Auch das Equipment musste gut durchdacht werden. Die zahlreichen Aufstiege verlangten Kompromisse in Bezug auf das Material. „Wir mussten uns fragen: Welche Mittelbreite beim Ski? Welche Länge? Wie schaffen wir den optimalen Mix, sodass das Abfahren Spaß macht, aber der Aufstieg nicht zur Belastung wird?“ Das richtige Material spielte auch aus Sicherheitsgründen eine Rolle: „Gerade beim Albonakopf stellt sich die Frage: Will ich mit diesem Setup wirklich hinunterfahren?“

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Zwischen steilen Hängen und riskanten Abfahrten
Am ersten Tag nach dem Schneefall ging es für Nadine und ihr Team los. „Wir mussten sehr sensibel in den Tag starten und machten uns zu Anfang ein generelles Bild. Wie viel Schnee ist runtergekommen? Ist der Untergrund gut? Wie ist der Schneedeckenaufbau?“ Als diese Fragen zu ihrer Zufriedenheit geklärt wurden und die Bedingungen optimal schienen, machten Nadine und ihr Team sich für die erste Line des Tages bereit: Den Albonakopf, die mit Abstand anspruchsvollste und technischste des Tages. „Mit einer No-Fall-Zone beim drop in“, erinnert sich Nadine. Mit der aufgehenden Sonne fuhr sie erfolgreich von der östlichen Seite vom Albonakopf ab. „Steil und herausfordernd, das war für mich die größte Challenge.“
Es folgte die Kaltenberg-Line, die gegen 11:15 Uhr erreicht wurde. „Wir haben einen Ridge-Climb gemacht und sind dann über die Cornice ins Face gesprungen.“ Dieser
Abschnitt war technisch weniger anspruchsvoll, dafür jedoch ein klassisch, schöner Skitourenberg mit steilen Flanken. Allerdings war auch hier die Lawinengefahr
kritisch und durchaus präsent.

Während die Abfahrten an sich schon eine enorme physische und mentale Herausforderung darstellten, kamen immer wieder unvorhergesehene Situationen auf
Nadine und ihr Team zu. Im Bettler-Couloir, welches sie um 12:20 Uhr erreichten, einer der windigsten Stellen der Tour, fuhr Nadine zunächst vorsichtig. Ihr Partner Yannick wagte einen dynamischeren Drop, doch dabei löste sich hinter ihm ein kleiner Rutsch. „Es war nicht wirklich eine Lawine, aber der Rutsch hat Schnee gesammelt und wurde schnell“, beschreibt Nadine die Situation. Kurzzeitig wurde der Funkkontakt zu Yannick unterbrochen, und Nadine sah ihn bis zur letzten Sekunde nicht – alles war weiß, rechts von ihm die Felsen. Doch schließlich fand er Schutz unter einem Felsen und entkam der Gefahr.
„Da war ich einfach nur heilfroh, als ich ihn endlich wieder gesehen habe“, sagt Nadine. Nach dem Vorfall nahmen sie sich die Zeit, das Ereignis zu reflektieren. „Wir haben die Situation analytisch betrachtet: Wieso ist das passiert, und was können wir daraus lernen?“ Trotz der Anspannung entschied sich Yannick, weiterzumachen. „Er vertraute mir und wollte den Tag positiv abschließen“, erinnert sich Nadine.

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Ein wichtiger Tipp von Nadine für brenzlige Situationen
„Zuerst einmal 10 Sekunden durchatmen, sich einen Überblick verschaffen und dann mit klarem Kopf eine Lösung angehen.
Bis zur nächsten Herausforderung, der „Östlichen Eisentalerspitze“, hatte das Team beim zweistündigen Aufstieg Zeit, die vorherige Situation zu reflektieren und zu besprechen. Diese Line brachte zusätzliche Risiken mit sich: weniger Exit-Möglichkeiten und deutlich exponiertere Abschnitte. Um 15:40 Uhr erreichten sie schließlich den Gipfel. Doch schnell wurde klar, dass sich die Schneebedingungen im Vergleich zu vorher verschlechtert hatten. In Anbetracht des vorherigen Vorfalls beschlossen sie, die Abfahrt zwar anzugehen, jedoch mit Vorsicht und Bedacht. „Safety first“, betont Nadine, also fuhren sie die Line etappenweise ab, ohne unnötige Risiken einzugehen.
Nach vier intensiven Abfahrten stand nur noch der letzte und gleichzeitig längste Aufstieg zum Göttercouloir bevor. Die Beine waren schwer, und über 2.000 Höhenmeter lagen bereits hinter Nadine und ihrem Team. Doch zu wissen, dass Dino
bereits oben auf dem Gipfel auf sie wartet und schon vorgespurt hatte, pushte sie enorm. „Zu wissen, dass Dino dort oben schon bereit war, hat wirklich geholfen. Es war wie ein Ziel, das plötzlich greifbar war.“
Als das Team schließlich den Gipfel des Göttercouloirs um 18:40 Uhr erreichte, war die Erleichterung und Euphorie spürbar. „Es war ein unglaubliches Gefühl, dort oben zu stehen. Die Sonne war bereits untergegangen, aber die Energie und Freude, es bis hierhin geschafft zu haben, waren riesig.“ Doch der Tag war noch nicht vorbei: Der letzte Abfahrtsrun musste im Dunkeln, nur mit Stirnlampen, bewältigt werden. „Wir sind vor 15 Stunden in der Dunkelheit gestartet und haben in der Dunkelheit abgeschlossen.“
From Dawn till Dusk – mehr kann man aus einem genialen Skitag wirklich nicht herausholen.

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Teamarbeit und mentale Stärke
Die Mission war mehr als nur ein körperlicher Kraftakt – sie verlangte emotionale Flexibilität und Vertrauen im Team. „Für mich war der Tag schon nach den ersten zwei Lines ein Erfolg“, sagt Nadine. Der Schlüssel lag darin, die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit zu treffen, ohne sich von Ehrgeiz oder Druck treiben zu lassen. „Sicher ist es cool, wenn man das Ziel erreicht, welches man sich gesteckt hat, aber ein wichtiger Sicherheitsaspekt ist für mich bei solchen Projekten die emotionale Flexibilität. Die Brechstangentechnik ist meist nicht die richtige. Es ist nie 100% sicher, sobald Schnee vorhanden ist, habe ich ein gewisses Risiko.“
Das Team funktionierte wie eine gut geölte Maschine. „Im Team unterwegs zu sein bedeutet, dass man die menschliche Komponente nicht vergessen darf“, erklärt Nadine. Kommunikation und Vertrauen waren entscheidend, um die Herausforderungen des Tages gemeinsam zu bewältigen.

Fazit

Nadine Wallners epische Herausforderung zeigt, dass große Abenteuer oft direkt vor der eigenen Haustür warten. Mit einer perfekten Mischung aus Vorbereitung, mentaler Stärke und Teamarbeit bewies sie, dass der Arlberg nicht nur ein Freeride-Paradies ist, sondern auch die ideale Bühne für persönliche Meilensteine.
Ihr „Backyard“ – der Arlberg – bleibt ein Ort, an dem sie noch viele weitere Abenteuer plant.




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