Bergstolz Issue No. 107

20 HARALD PHI L IPP Bergstolz Ski & Bike Magazin • 05 | 2022 Romantische Träume und harte Arbeit im Bike-Paradies Ligurien Haralds und Kathas Leben steht Kopf. Sie fassen einen Plan. Für beide beginnt ein Abenteuer 24/7 – mit offenem Ausgang. Die alte Hütte soll ihr neues Zuhause werden. Ein Haus, das noch unzählige Stunden harte Handarbeit davon entfernt ist, ein angenehmes Zuhause zu sein. Eine neue Heimat in einer Region, deren Sprache beide anfangs nur bruchstückhaft sprechen. Für die E-Bikes, die sie mitgebracht haben, bleibt anfangs wenig Zeit. Zwei Jahre leben Harald und Katha nun schon in den ligurischen Bergen. Zeit zu schauen, was aus ihren Plänen, dem Haus und dem Acker dahinter geworden ist – und natürlich auch, welche Spuren sie mit den E-Bikes hier mittlerweile hinterlassen haben. Das Valle Argentina im Hinterland von Imperia wird enger, die Schlucht neben der Straße tiefer. Hoch darüber thront ein einsames Bergdorf. Die Mauern der Häuser verschmelzen mit dem Berg. Wie eine Kulisse aus Umberto Ecos „Der Name der Rose“. Noch ein Stück weiter in diesem herb romantischen Nirgendwo liegt das Häuschen der beiden. Mit Rechen und Harke bearbeiten Harald und Katha gerade ein kleines Feld am Rand des Grundstücks. Ein Huhn flattert hektisch davon. Hirtenhund Momo tollt bellend durch die Wiese. Hinter den Hügeln am Horizont schimmert als blass türkiser Streifen das Mittelmeer. Die Zwei scheinen angekommen zu sein in ihrer neuen Heimat. Ein grünes Paradies? „Ehrlich gesagt, wir hatten keine Ahnung …“ „Komm, wir setzen uns“, sagt Harald. Er nimmt mit Katha auf einer Holzbank an der Hauswand Platz und beginnt zu erzählen. Von der Realität des Lebens in einer 300 Jahre alten Ruine ohne Heizung und fließendemWasser. Davon, dass aus der „Woche voller Sonntage“, die ein Aufenthalt hier für Harald früher mal war, eine „Woche voller Werktage“ wurde. Davon, wie schmerzlich es war, die Überreste der Kaffeemaschine und der Sound-Anlage aus dem Schlamm zu bergen. Sturm „Alex“ verwüstete im Oktober 2020 in Norditalien ganze Dörfer, zerstörte Gebäude und Brücken. Die Überschwemmung demolierte auch den Schuppen, in dem Harald und Katha die Hälfte ihres Hausstandes eingelagert hatten. Ein brutales Zeichen des Klimawandels. Ein herber Dämpfer. Doch gleichzeitig fühlen sich Harald und Katha dadurch bestärkt, auf dem richtigen Weg zu sein – mag der Neustart in den Bergen an der italienisch-französischen Grenze noch so tough sein. „Ehrlich gesagt, wir hatten keine Ahnung, was es bedeutet, unsere komfortable Wohnung in Innsbruck zu verlassen“, meint Katha. „Vier Wochen Auszeit, das ist etwas anderes als anderthalb Jahre ohne fließendes Wasser zu sein. Jederzeit in den Supermarkt ums Eck gehen zu können, ist eine andere Nummer, als Getreide und Kartoffeln selbst anzupflanzen und bangen zu müssen, ob die Ernte ausfällt. Es gib kaum noch einen Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit.“ Auch Anflüge von Lagerkoller sind beiden nicht fremd. „Kurzfristig hilft es, einfach mal rauszugehen“, meint Katha. „Langfristig ist es eine Frage, wie gut es dir gelingt, deinem Partner mit Respekt zu begegnen und Kompromisse zu finden. Dafür müssen beide hundertprozentig hinter dem Projekt stehen, wirklich ein anderes Leben führen zu wollen.“ Trailbau – der Türöffner zu den Einheimischen Zufrieden wirken beide trotz der Härten, die der Alltag für sie bereithält. Italienisch ist mittlerweile keine Fremdsprache mehr. Und nachdem sich der Bürgermeister selbst in den Bagger gesetzt hat, können Harald und Katha endlich zu jeder Tageszeit warm duschen. Sich als Restaurateure alter Bergpfade einzubringen, hilft den beiden, sich im Tal zu integrieren. Harald will die Menschen kennenlernen, aber auch sich selbst. Sein Tool dafür ist sein Mountainbike. Hier ist es nicht anders. Der Trailbau funktioniert als Türöffner zu den Einheimischen. „Lokale Legenden wie der 90-jährige Luigi haben uns von alten Eselwegen erzählt, die längst verfallen sind. Wir haben sie wieder instandgesetzt“, erzählt Harald. „Bei uns zuhause bekämst du mit solchen Aktionen Ärger. Hier freuen sich die Menschen.“ Das E-Bike ist für Harald und Katha längst Alltagsfahrzeug und Sportgerät in einem. Der Weg zum Einkaufen ist ein großartiger 45-minütiger Trail-Ride. „Die Region ist voll von Wegen, die es offiziell nicht mehr gibt“, grinst Harald. „Sie wieder zugänglich zu machen, ist mein neues Abenteuer.“ Wie ein Wolf kommt er sich bisweilen vor, der sein Revier immer weiter erkundet. Längst hat er bei Freunden in den Orten im Tal Akkus deponiert. „Im Umkreis von drei Akku-Ladungen kann ich hier ein Leben lang spielen.“ „Ich habe eine neue Lebensqualität entdeckt“ Spielerisch sieht Harald mittlerweile auch die neue Lebensweise. „Wir sind keine Aussteiger. Wir sind nicht so einsam, wie man das vermuten mag. Im Gegenteil. Hier leben zwar nur wenige Menschen. Aber zu diesen wenigen haben wir mehr Kontakt als früher

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