19 ARLBERG ihr „Backyard“, und ihre Ortskenntnisse gaben ihr einen klaren Vorteil. „Ob es nun 2.800 oder 3.500 Höhenmeter wurden, spielte für mich letztlich keine große Rolle.“ Auch das Equipment musste gut durchdacht werden. Die zahlreichen Aufstiege verlangten Kompromisse in Bezug auf das Material. „Wir mussten uns fragen: Welche Mittelbreite beim Ski? Welche Länge? Wie schaffen wir den optimalen Mix, sodass das Abfahren Spaß macht, aber der Aufstieg nicht zur Belastung wird?“ Das richtige Material spielte auch aus Sicherheitsgründen eine Rolle: „Gerade beim Albonakopf stellt sich die Frage: Will ich mit diesem Setup wirklich hinunterfahren?“ Zwischen steilen Hängen und riskanten Abfahrten Am ersten Tag nach dem Schneefall ging es für Nadine und ihr Team los. „Wir mussten sehr sensibel in den Tag starten und machten uns zu Anfang ein generelles Bild. Wie viel Schnee ist runtergekommen? Ist der Untergrund gut? Wie ist der Schneedeckenaufbau?“ Als diese Fragen zu ihrer Zufriedenheit geklärt wurden und die Bedingungen optimal schienen, machten Nadine und ihr Team sich für die erste Line des Tages bereit: Den Albonakopf, die mit Abstand anspruchsvollste und technischste des Tages. „Mit einer No-Fall-Zone beim drop in“, erinnert sich Nadine. Mit der aufgehenden Sonne fuhr sie erfolgreich von der östlichen Seite vom Albonakopf ab. „Steil und herausfordernd, das war für mich die größte Challenge.“ Es folgte die Kaltenberg-Line, die gegen 11:15 Uhr erreicht wurde. „Wir haben einen Ridge-Climb gemacht und sind dann über die Cornice ins Face gesprungen.“ Dieser Abschnitt war technisch weniger anspruchsvoll, dafür jedoch ein klassisch, schöner Skitourenberg mit steilen Flanken. Allerdings war auch hier die Lawinengefahr kritisch und durchaus präsent. Während die Abfahrten an sich schon eine enorme physische und mentale Herausforderung darstellten, kamen immer wieder unvorhergesehene Situationen auf Nadine und ihr Team zu. Im Bettler-Couloir, welches sie um 12:20 Uhr erreichten, einer der windigsten Stellen der Tour, fuhr Nadine zunächst vorsichtig. Ihr Partner Yannick wagte einen dynamischeren Drop, doch dabei löste sich hinter ihm ein kleiner Rutsch. „Es war nicht wirklich eine Lawine, aber der Rutsch hat Schnee gesammelt und wurde schnell“, beschreibt Nadine die Situation. Kurzzeitig wurde der Funkkontakt zu Yannick unterbrochen, und Nadine sah ihn bis zur letzten Sekunde nicht – alles war weiß, rechts von ihm die Felsen. Doch schließlich fand er Schutz unter einem Felsen und entkam der Gefahr. „Da war ich einfach nur heilfroh, als ich ihn endlich wieder gesehen habe“, sagt Nadine. Nach dem Vorfall nahmen sie sich die Zeit, das Ereignis zu reflektieren. „Wir haben die Situation analytisch betrachtet: Wieso ist das passiert, und was können wir daraus lernen?“ Trotz der Anspannung entschied sich Yannick, weiterzumachen. „Er vertraute mir und wollte den Tag positiv abschließen“, erinnert sich Nadine. Ein wichtiger Tipp von Nadine für brenzlige Situationen „Zuerst einmal 10 Sekunden durchatmen, sich einen Überblick verschaffen und dann mit klarem Kopf eine Lösung angehen. Bis zur nächsten Herausforderung, der „Östlichen Eisentalerspitze“, hatte das Team beim zweistündigen Aufstieg Zeit, die vorherige Situation zu reflektieren und zu besprechen. Diese Line brachte zusätzliche Risiken mit sich: weniger Exit-Möglichkeiten und deutlich exponiertere Abschnitte. Um 15:40 Uhr erreichten sie schließlich den Gipfel. Doch schnell wurde klar, dass sich die Schneebedingungen im Vergleich zu vorher verschlechtert hatten. In Anbetracht des vorherigen Vorfalls beschlossen sie, die Abfahrt zwar anzugehen, jedoch mit Vorsicht und Bedacht. „Safety first“, betont Nadine, also fuhren sie die Line etappenweise ab, ohne unnötige Risiken einzugehen. Bergstolz Ski & Bike Magazin • 07/2024
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