I SLAND Bergstolz Ski & Bike Magazin • 08/2024 In der Coles Bukta wartet unsere nächste Skitour auf uns, und bevor wir an Land gehen, gibt es noch das Briefing für den heutigen Tag: „Haltet ein Auge auf den Fjord – sollte sich das Packeis wieder in die Bucht drücken, kehrt sofort um! Sonst stehen wir schneller als uns lieb ist ohne Rückfahrticket da.“ Vorbei an stillgelegten sowjetischen Bergbauanlagen aus den 60er Jahren (die in ihrer bizarren Schönheit die Landschaft fast wie ein Set aus einem postapokalyptischen Film wirken lassen) machen wir uns auf den Weg in das wilde Hinterland. Es geht durch weite Tundralandschaften und irgendwann gehts endlich bergauf. Ein formschöner Gipfel, der die Szenerie majestätisch überragt, wird spontan zum Ziel erklärt. Im diffusen Licht scheint der Gipfel zum Greifen nah – ein letzter Ansporn für die müden Beine, die sich nun doch spürbar melden. Der Wind frischt auf, und während wir uns bei einer kurzen Pause einen Riegel und eine Tasse Tee gönnen, moderiere ich vorsichtig an, dass es langsam Zeit wird, umzudrehen. Doch dann – eine Geländestufe weiter oben, stehen wir endlich am Gipfel! Wir genießen einen kurzen Triumphmoment, bis sich die Funkgeräte mit einem dringenden Update von der SV Linden melden: Der Westwind hat kräftig zugelegt und schiebt bereits eine gewaltige Menge Packeis in unsere Bucht! Mit einem Schlag ist uns klar: Wir müssen schnellstmöglich zurück. Die Abfahrt im windverpressten Schnee bringen wir zügig aber trotzdem auf Sicherheit bedacht hinter uns. Ein gebrochener Haxn wäre hier fernab der Zivilisation ein absoluter Super-Gau. Nach einigen Skating- Kilometern erreichen wir endlich das Ufer, wo uns das Zodiac schon erwartet. Sichtlich nervös mahnt uns Lukas zur Eile. Das Slalom-Abenteuer zwischen riesigen Eisschollen beginnt. Mit viel Glück erreichen wir die Linden gerade noch rechtzeitig, denn hinter uns schließt sich die Passage. Erst einmal fest im Eis eingeschlossen, können wir durchschnaufen – für die nächsten 36 Stunden heißt es: Pause im Packeis. Und was für eine! Dank unserer 5-Sterne-Versorgung an Bord fehlt es uns an nichts: Die Küche der SV Linden läuft zur Höchstform auf. Während die Außenwelt vereist, entspannen wir uns mit Yoga, Saunieren und Eisbaden – der ultimative Mix, um müde Knochen zu reanimieren. Wer mag, darf heute auch mal in die Sea-Survival Anzüge steigen und zwischen den Eisschollen sicher hin und her hüpfen… Es fühlt sich fast an wie eine Zeitreise zu Nansens „Fram“-Expedition von 1893, als er sich mit seiner Crew im Eis einfrieren ließ und auf die Drift Richtung Nordpol hoffte. Und auch wenn wir dieses Abenteuer nur für kurze Zeit erleben, können wir ein bisschen nachvollziehen, wie er sich in dieser endlosen, faszinierenden Eiswüste gefühlt haben muss. Für die Zeit im Packeis ist das Buch „In Nacht und Eis“ von Fridtjof Nansen Pflichtlektüre – und auch, wenn wir vielleicht nicht ganz bis zum Nordpol treiben, wissen wir, dass wir etwas Einzigartiges erleben dürfen, das uns nachhaltig in Erinnerung bleiben wird. Endlich frei! Nach zwei Tagen im Packeis steuert Rasmus die SV Linden mit voller Fahrt quer über den Fjord in Richtung Borebukta. Im gleißenden Licht der Mitternachtssonne stehe ich warm eingepackt neben ihm am Steuerruder. Es ist einer dieser magischen Momente, die eine stille Dankbarkeit in mir aufkommen lassen – das Gefühl, genau hier und jetzt am richtigen Ort zu sein. Mit dem Fernglas scanne ich schon einmal die umliegenden Berge und prüfe potenzielle Abfahrtslinien für den morgigen Skiausflug. Gegen 2 Uhr morgens mache ich mich dann doch auf - in meine verdunkelte Kajüte, um noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Am Morgen steht eine weitere Skitour auf dem Programm. Doch bevor wir an Land gehen, holt uns die arktische Realität schnell zurück: Rasmus erinnert uns eindringlich daran, dass wir auf unserer heutigen Route einen „klassischen Eisbären-Highway“ kreuzen. Die Gruppe muss heute noch enger beisammenbleiben und disziplinierter unterwegs sein als je zuvor. Das Zodiac kann uns eisbedingt nur an einer unübersichtlichen Stelle im kupierten Gelände absetzen. Um die Lage zu checken, gehe ich als Erster an Land. Mit den Skiern an den Füßen und dem Gewehr in der Hand versuche ich, ruhig zu bleiben, während ich zügig einen Hügel erklimme, um eine bessere Übersicht zu bekommen. Oben angekommen bin ich erleichtert – außer ein paar Rentieren in der Ferne ist weit und breit kein Eisbär zu sehen.
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