38 VERB I ER Bergstolz Ski & Bike Magazin • 08/2024 Nach dem Unfall fiel es Till schwer, sich mit der Vorstellung abzufinden, dass auch er Fehler gemacht haben könnte. Lange schob er die Schuld auf den Snowboarder, der gleichzeitig mit ihm im Hang war und so die Lawine vielleicht ausgelöst hatte. Doch mit der Zeit wurde ihm klar, dass es nicht nur auf äußere Umstände ankam – auch er hätte die Situation anders einschätzen können. „Fehler sind menschlich und können jedem passieren, selbst den erfahrensten Bergführern und Alpinisten.“ Gerade in der zunehmenden Gefahrenlage durch den Klimawandel und die veränderten Bedingungen in höheren Lagen wird deutlich, wie wichtig intensive Vorbereitung ist. Umfassendes Wissen können das Risiko nicht zu 100% ausschließen, aber Till glaubt, dass der mentale Fokus entscheidend ist. „Wer Probleme im Privatleben oder Ablenkungen im Kopf hat, hat im alpinen, ungesicherten Gelände nichts zu suchen.“ Diese Gedanken kamen ihm besonders, als er an die möglichen Folgen für Familie und Freunde dachte, hätte er es nicht überlebt. Die Erlebnisse haben ihm klar gemacht, dass es im alpinen Raum Situationen gibt, die außerhalb unserer Kontrolle liegen und auf die sich kaum jemand wirklich vorbereiten kann – ein Kontrollverlust, den nur jene wirklich nachvollziehen können, die ihn erlebt haben. Till spricht über die notwendigen Reserven, die man bei Skitouren immer im Hinterkopf haben sollte. „Wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin, muss ich immer mindestens 20% übrighaben, um im Notfall jemanden retten zu können,“ erklärt er. Gerade bei langen Aufstiegen werde oft unterschätzt, wie schnell die eigene Leistungsfähigkeit abnimmt. „Wer sich komplett verausgabt, verliert nicht nur den Fokus, sondern geht auch ein großes Risiko ein und trifft eventuell falsche Entscheidungen.“ Das bedeutet, dass man im Ernstfall auf die Gruppe angewiesen ist – ob es ums Überleben oder den sicheren Abstieg geht. Daher sei es essenziell, gut abzuschätzen, wohin die Tour führen soll, ob die Strecke direkt unter dem Lift oder in einem unbekannten Gebiet liegt, und ob man den Menschen, mit denen man unterwegs ist, vertrauen kann. Um im Freeriden und bei Skitouren sicher unterwegs zu sein, ist es wichtig, kontinuierlich Informationen zu sammeln und das Wissen regelmäßig aufzufrischen. Lawinenkurse sollten so konzipiert sein, dass sie nicht nur auf das Notfallszenario vorbereiten, sondern auch auf die Vermeidung gefährlicher Situationen abzielen. Zu den grundlegenden Fähigkeiten gehören das Interpretieren von Hangneigungen, fundierte Schneedeckenanalysen und das korrekte Verstehen von Lawinenberichten. Mindestens einmal im Jahr sollte das Gelernte in der Praxis geübt werden. Wenn man so etwas erlebt, rät Till, sollte man unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Er selbst ist in Therapie und spricht offen darüber, wie wertvoll es ist, seine Erfahrungen zu teilen – nicht nur für sich selbst, sondern auch, um andere zu schützen. Je mehr Menschen über die Risiken im alpinen Gelände nachdenken und sich gezielt vorbereiten, desto eher lassen sich Unfälle verhindern. Ein Gespräch, das vielleicht jemanden dazu bringt, in einen Airbag oder Lawinenkurs zu investieren, kann schon einen Unterschied machen. Till schaut heute mit mehr Gelassenheit auf seine Freeride-Zukunft – ohne den ständigen Druck, jeden Hang sofort fahren zu müssen. Wie Jérémie Heitz einmal sagte: „Nur wenn man gesund zurückkommt, hat man die Möglichkeit, es wieder zu tun.“ Wenn ein Hang heute nicht funktioniert, dann vielleicht in zwei Wochen oder nächstes Jahr. Selbst wenn das Wochenende nach einer stressigen Arbeitswoche lockt und der Powder ruft, rät er zur Vorsicht: „Wenn es heute nicht klappt, hat man die nächsten dreißig Jahre noch Zeit.“ Die Berge laufen einem schließlich nicht davon und auch ohne einen Meter Neuschnee, kann ein Tag in den Bergen erfüllend sein.
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