Seite 26 | BERGSTOLZ Bike Magazin AUGUST 2016
KUNGSLEDEN
Gebräuche pflegen. Muskellockerung mit Lokalkolorit, sozusagen. Doch wir sind offenbar nicht die
Einzigen mit dieser Idee und so finden wir die Sauna hoffnungslos überfüllt vor. Auch eine Stunde
später sieht es noch nicht besser aus. Also verschieben wir den Saunabesuch auf nach dem
Abendessen. Zu unserem Schrecken scheint die Sauna rund um die Uhr voll belegt zu sein, und so
quetschen wir uns beim dritten Versuch einfach irgendwo dazwischen. DenWellness-Teil des Tages
hatten wir uns anders vorgestellt…
Tag 3 | Sälka – Hukejaure
Schnee soweit das Auge reicht, Seen die mit Eis bedeckt sind, und zu allem Übel auch noch star-
ker Regen. Der schwedische Sommer hatte dieses Jahr definitiv noch nicht begonnen. Dass wir
einen Fluss überqueren müssen, macht die Sache nicht besser.Aber uns bleibt keineWahl.Also raus
aus den Schuhen und rein ins kalte Wasser. Die Minuten im Eiswasser fühlen sich wie Stunden an
und erst amAbend, als wir schon in unseren Schlafsäcken liegen, kehrt das Gefühl in unsere Zehen
zurück. Nach und nach erfahren wir, dass es sich hier im Fjäll, der schwedischen Hochebene, um
den kältesten Sommer seit 60 Jahren handelt. Kombiniert mit dem schneereichsten Spätwinter seit
Beginn der Aufzeichnungen ergibt das für uns eine denkwürdig schlechte Ausgangslage. Auch
heute schieben wir mehr als dass wir fahren und auch das nur mit Mühe, da die aufgeweichte
Schneedecke uns bei jedem Schritt einsinken lässt. An diesem Tag, rückblickend wohl dem streng-
sten unserer Reise, ist Niemandem zum Lachen zumute. Wir sind froh, als wir die urige Hütte in
Hukejaure erreichen und uns aus unseren nassen Kleidern schälen können. Auch wenn es keiner
von uns ausspricht, auf die Erlebnisse des dritten Tages hätten wir wohl alle verzichten können.
Tag 4 | Hukejaure - Ritsem
Post ist da! Im Auftrag der Hüttenwartin von Hukejaure überbringen wir nach der ersten flowigen
Abfahrt unserer Reise einen Brief in die nächste Hütte. Postverteilung wie zu alten Zeiten bei gutem
Wetter und tollem Singletrail. So macht es Spaß, durch das schwedische Fjäll zu fahren.
Nach den ersten Tagen, geprägt von Schnee, Eis und unseren Flüchen, werden wir heute end-
lich mit fahrbaren Trails und einigermaßen gutemWetter belohnt. Auch wenn die Bedingungen
immer noch anspruchsvoll, das Vorankommen auf den technischen, verblockten Trails anstren-
gend ist, im Vergleich zu den vergangenen Abschnitten haben wir heute erstmals das Gefühl,
auf statt nur mit und neben dem Bike unterwegs zu sein. Immer wieder sehen wir Rentiere,
Schneeeulen und Lemminge. Die Eindrücke der Natur lassen uns die Anstrengung jeweils für
einige Momente vergessen.
Doch weder die verbesserten Bedingungen noch die schwedische Fauna können darüber hinweg-
täuschen, dass uns die ersten Tage auf dem Kungsleden weit mehr Kraft und Zeit gekostet haben,
als wir ursprünglich eingerechnet hatten. Trotz guter Stimmung schleichen sich erste Zweifel in
unsere Gedanken.Wir alle wissen, dass der Zeitplan nicht mehr zu schaffen ist.Wir verdrängen die-
sen Gedanken so gut es eben geht und lassen diesen Tag in einer – man höre und staune – lee-
ren Sauna ausklingen.
Tag 5 | Ritsem - Sitojaure
Mit viel Vorsicht laden wir unsere Bikes in den Reisebus. Wir müssen den Stora Sjöfallets -
Nationalpark umfahren, in dem das Biken seit dem Sommer 2015 nicht mehr erlaubt ist. Nach
knapp zwei Stunden im Bus wechseln wir das Transportmittel und steigen auf die Fähre nach
Saltoluokta um. Unsere Bikes werden von riesigen Händen umfasst und auf die kleine Fähre
gehievt. Alle drei Bikes gleichzeitig, wohlgemerkt. Der zu den Händen gehörende Fährmann ist ein
Baum von einem Mann. Im Gegensatz zu uns macht er sich beim Handling der Bikes ganz offen-
sichtlich keine Sorgen um unsere teuren Carbonrahmen.
Von Saltoluokta führt uns ein guter Singletrail nach Sitojaure. Für einmal kommen wir richtig gut
voran und schaffen unser Tagessoll ohne viel Mühe. Doch was wäre ein Tag auf unserer Expedition
ohne Ärgernis? In Sitojaure scheinen sich sämtliche Stechmücken Schwedens versammelt zu haben
und so lassen wir das erfrischende Bad im See ausnahmsweise aus. Glücklich, im Besitz von
Moskitonetzen zu sein, lassen wir den Tag Revue passieren. Früh legen wir uns schlafen, denn wir
wollen verlorene Zeit wieder wettmachen, indem wir, die Mitternachtssonne nutzend, bereits um
drei Uhr morgens die nächste Etappe in Angriff nehmen.
Tag 6 | Sitojaure - Jokkmokk
„The river has taken the bridge!“ Mit diesen Worten werden wir aus dem Schlaf gerissen. Der
Hüttenwart steht in unserem Zimmer und faselt, dass unsere geplante Route nicht funktioniere.
Eine Brücke auf halbem Weg sei vom Fluss weggerissen worden. Hinter ihm steht die Tür weit
offen. Wir sehen Unmengen von blutrünstigen Mücken in unser Zimmer ziehen. Die wenigen
Stunden bis zum Aufbruch werden wir den Stechmücken wohl als Verpflegung dienen müssen.
Die weggerissene Brücke sollte nicht zum Hindernis werden. Wir starten wie geplant frühmorgens
gegen drei Uhr, um im schlimmsten Fall genügend Zeit zu haben, um wieder umkehren zu können.
Nachdem wir uns zwei Stunden durch dichtes Birken-Buschwerk gekämpft haben, erreichen wir
die Überreste der Brücke. Wir erkennen, dass die Schilderungen des Hüttenwartes doch weitaus
dramatischer waren als die Realität. Wohl war die Brücke weg, doch dieser Fluss ließ sich ohne
Weiteres zu Fuß durchqueren. Damit hatten wir ja nun wirklich schon genug Erfahrung. Wir ver-
bringen den Tag zu großen Teilen im Sattel und die letzte Abfahrt zur Straße in Richtung Jokkmokk
zaubert uns noch einmal ein Lächeln ins Gesicht, vor allem weil sie einfach zu meistern ist.Wir alle
merken, dass es mit unseren Energiereserven nicht mehr weit her ist.
In Jokkmokk beratschlagen wir über das weitere Vorgehen. Die Tatsache, dass es von Jokkmokk
aus wieder in die Berge gehen würde, die Trails noch schwieriger werden sollten und ein weiterer
Nationalpark mit dem Bus umfahren werden müsste, lässt uns unser Vorhaben nach nur einem
Drittel des Kungsledens abbrechen. Wir wären gern noch weitergefahren, und paradoxerweise
machten wir genau deswegen nicht weiter. Denn mit Fahren hätten die kommenden Kilometer
wohl reichlich wenig zu tun gehabt.
Tag 7 | Jokkmok
Da sitzen wir nun, drei Freunde im hohen Norden. Biken und ein gemeinsames Abenteuer war
unser Ziel. Mit Biken war es leider nicht weit her: Der Kungsleden ist ein einziger Singletrail, der,
nebst Ausdauer, größtes technisches Können vom Biker verlangt. In diesem Jahr war er wetterbe-
dingt für Moutainbikes schlicht unfahrbar. Dafür lag einfach noch zu viel Schnee, dafür war es
schlicht zu nass.
Das gemeinsame Abenteuer allerdings, das haben wir wohl erlebt, und auch wenn wir unser Ziel,
den Kungsleden zu bezwingen, nicht erreicht haben, so kehren wir doch mit unvergleichlichen
Eindrücken und Erinnerungen nach Hause zurück.




