bergstolz

PROJECTION


Text & Fotos: Richard Buchner, Robert Scheitzeneder, Vincent Devens

In dem independent Skifilmprojekt "PROJECTION" erkunden die Latschen­killerkrew and Friends die Architektur und Infrastruktur verlassener Skigebiete sowie die Landschaften, in denen sie zurückgelassen wurden. Auf ihrer Reise entdecken sie die eigene Ästhetik dieser Orte und setzen dem Vergessen ein Ende.

Wir kreuzen ein flaches Tal und bewegen uns über den windgepressten Altschnee auf eine Reihe alter Seilbahnstützen zu, auf riesigen Betonfundamenten vor sich hin rostend und ihrer Aufgabe entledigt. Die leeren Rollenbatterien sind ein ungewohnter Anblick. Sie hätten beinahe den Anschein eines vorübergehenden Zustands wecken können, schienen hoffnungsvoll zu beteuern, jederzeit wieder einsatzbereit zu sein. Warum sonst hätte man sie hier stehengelassen?

PROJECTION SWISS Richard Buchner 2

Nach einigen zurückgelegten Höhenmetern liegt vor uns eine umgestürzte Liftstütze in der Landschaft. Beinahe andächtig legen wir eine Pause ein. Eingehend wird der eingeknickte Fuß des Stahlkolosses inspiziert. Vor meinem inneren Auge kontrastiere ich die dystopische Szene, die sich uns bietet, mit dem allzu bekannten Bild einer vollen Talabfahrt. Ich mutmaße, wo genau die Piste verlief, versuche mir in dieser Einsamkeit den Trubel vorzustellen, der diesen Ort vor einigen Jahrzehnten beherrscht haben muss.

Hier, in den Ruinen des alpinen Wintersports, erahnen wir eine Schnittstelle, einen gemeinsamen Nenner zwischen dem Vergangen und dem Zukünftigen. Diese Orte stecken zwischen den Zeiten fest. Sie konservieren die Vergangenheit und dabei gleichzeitig ihre Vergänglichkeit. Inmitten des fortlaufenden Zeitgeschehens verblassen solche Artefakte und Orte langsam, verschwinden und geraten in Vergessenheit. Unser zentrales Anliegen bei diesem Projekt war es, die einzigartige Ästhetik dieser Orte zu zeigen, die Eindrücke zu verarbeiten und bewusst dem Prozess der Vergänglichkeit entgegenzuwirken.

Mein Blick richtet sich langsam auf die ursprünglich grün-gelb gestrichene Liftanlage, die über die Zeit hinweg von einem rot-braunen Rostschleier eingenommen wird. Der Rost, als stiller Chronist jahrelanger Inaktivität, verweist unverkennbar auf den Stillstand. Vor dem Fenster mit dem verblassten Schild (Ticketschalter) scheint, als stehe die Zeit still. Innehaltend stelle ich mir vor, als jedes Ticket an den Beginn eines winterlichen Abenteuers markierte. Dieser Ort gibt nur noch wenigen Menschen einen leisen Verweis auf die vergangenen Momente.

Rider Jakob Aigner PROJECTION SWISS Photo Richard Buchner 2

Im Inneren verdeckt ein Teppich, aus vergilbten Broschüren, Aufklebern und aufgequollenen Ticketbündeln, wie ein Mosaik, den darunter liegenden Boden. Mein Blick wendet sich einem dahinrostenden Ski zu, dessen Belag nahezu komplett abgelöst daneben liegt. Der Zeit überlassen klemmt ein Skischuh darunter. Ein Sammelsurium von Erinnerungen, von Staub und Verfall bedeckt.

Rund 45 Prozent - 222 Skigebiete und Talllifte - der Schweiz mussten bereits schließen, sagt Professor Christoph Schuck, welcher sich mit seinem Team an der Technischen Universität Dortmund mit verlassenen Skigebieten (Lost Ski Area Projects) beschäftigt. „Ich habe nicht den Eindruck, dass die Schweiz eine höhere Dichte an verbliebener LSAP-Infrastruktur hat als andere Alpenländer“, hält Schuck fest. Nach weiteren Recherchen kommen wir auf eine Anzahl von über 600 geschlossenen Skigebieten im Alpenraum. Eine ernüchternde Zahl. Verlassene Skigebiete sind nur einer von vielen Zeugen eines Wandels. Die Wissenschaft bestätigt weitreichende und rasche Veränderungen in der Atmosphäre, den Ozeanen, der Kryosphäre und der Biosphäre. Die vom Menschen verursachte Klimakrise wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus. Vor allem im globalen Süden häufen sich Dürreperioden, Hitzewellen und Extremwetterereignisse. Man denke nur an die 50 Grad Celsius in Pakistan und Indien im letzten Sommer, unter dessen Folge 220 Menschen starben. Doch auch wir im globalen Norden bleiben von den Auswirkungen nicht verschont. Im Ahrtal mussten im Juli 2021 insgesamt 189 Menschen ihr Leben lassen, 17.000 Menschen verloren dabei ihr Eigentum. Was oft als Jahrhunderthochwasser in den Medien benannt wurde, sind in Wahrheit bereits jetzt spürbare Auswirkungen von einem menschenveränderten Klima.

Die International Cryosphere Climate Initiative zieht Ihre zuletzt erschienene Publikation „State of the Cryosphere 2023 - Two Degrees Is Too High” ein ernüchterndes Resümee über die Kryosphäre. Die Kryosphäre umfasst alle Teile der Erde, die aus gefrorenem Wasser bestehen. Darunter alle Formen von Eis, einschließlich Gletscher, Schnee, Eisberge, Eiskappen, Permafrost und Meereis. Die heutige Erwärmung von 1,1°C gegenüber der vorindustriellen Zeit führt bereits zu einem massiven Rückgang des arktischen und antarktischen Meereises und zu einem Verlust von Gletschereis in allen Regionen der Erde. Laut dem neusten Bericht vom Kryosphären Monitoring Österreich war der Winter 2021/22 ein Jahr der Extreme. Im Durchschnitt verzeichnen die Gletscher in Österreich ein Minus von 3,2 Metern Eishöhe. Das ist fast 3x so viel wie im Durchschnitt der Letzten 10 Jahre. Das Jahr 2022 war außerdem seit Beginn der Messung im Jahr 1767 das zweitwärmste Jahr in Österreich mit im Durchschnitt 8,1 °C.

Sollten die CO2-Emissionen in der Atmosphäre weiterhin mit dem heutigen Tempo ansteigen, werden die globalen Temperaturen bis zum Ende dieses Jahrhunderts mindestens 3°C erreichen. Selbst eine Erwärmung um 2°C wird zu einem weitreichenden, langfristigen und irreversiblen Eisverlust führen, begleitet von einer erheblichen Abnahme der Schneedecke. Diverse Studien weisen auf den alarmierenden Fakt hin, dass Schneefallgrenzen in den alpinen Räumen zunehmend schneller zurückweichen. Temperaturen über dem Gefrierpunkt steigen in immer größere Höhenlagen an. In niedrigeren Höhen und Breitengraden wird Schnee seltener oder überhaupt nicht mehr fallen, und die Winterzeit verkürzt sich.

Während ich über den schneeverblasenen Grat auf 2797 hm gehe, blicke ich in den Nordwest-Hang hinein. Mitte Februar 2022 ist dieser mit etwa 20-30 cm Schnee bedeckt, was ein Rekordtief in dieser Höhenlange markiert. Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung bestätigt, dass Ende Februar – seit Beginn der Aufzeichnungen - zuvor noch nie so wenig Schnee in dieser Jahreszeit gemessen wurde. Mir drängt sich die Frage auf, wie zukunftsfähig der Wintersport und generell unsere Lebensweisen sind. Uns ist auch klar, dass der Wintersport per se kein nachhaltiger ist, und wird es auch nie werden.

Rider Jakob Aigner PROJECTION SWISS Photo Vincent Devens

Schnelle und zielführende Umstellungen in allen Sektoren (Transport, Energie, Industrie) und Systemen sind notwendig und ein positiver Ausblick auf unsere Zukunft ist nur möglich, wenn Politik und Wirtschaft sinnvolle, durchdachte und nachhaltige Lösungen konzipiert und umsetzt. Auch im Wintersport lassen sich konstruktive Lösungsansätze für einen nachhaltigeren Umgang mit unserer Natur und den aktuellen Gegebenheiten umsetzen. Den Beginn der Wintersaison an veränderte klimatische Bedingungen anzupassen wäre ein erstes

Zugeständnis, sich nicht gegen die Veränderung der Natur zu stellen, sondern sich an diese anzupassen. Aufgrund der ausbleibenden künstlichen Beschneiung könnte einiges an Wasser und Energie eingespart werden. Weiter sind Nachhaltigkeitsberichte und eigenständiges Umrüsten auf erneuerbare Energien weitere Handlungsmöglichkeiten von Seilbahn Betreiberinen. Alternative Tourismuskonzepte wie Slow Travel oder ein nachhaltiger Tourismus erhalten immer mehr Aufmerksamkeit. Slow Travel, eine Reisephilosophie, welche darauf abzielt, bewusst und nachhaltig zu reisen, den Fokus auf lokale Erfahrungen und die Entdeckung von Kulturen legt, anstatt sich auf schnelle Fortbewegung und oberflächliche Sightseeing- Touren zu konzentrieren. Nachhaltiger Tourismus beschreibt das Gegenteil von Massentourismus. Dieser strebt danach, Umweltauswirkungen zu minimieren, soziale Verantwortung zu fördern und Lokalwirtschaft zu stärken, um ein langfristiges Gleichgewicht zwischen touristischer Entwicklung und Umweltschutz zu schaffen. Die individuelle Anreise in Wintersportregionen ist für über 50% der Emissionen im Wintertourismus aus, daher sollen Individuen auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen.

Der Film beginnt mit einem Gedicht von Vincent Devens, in dem das erzählende Ich über die abenteuerlichen Berichte der letzten Skifahrer reflektiert - es spricht dabei über eine Generation aus einer fernen Zukunft, welche bereits seit langem keinen Schnee mehr kennt. Die wenigen Zeilen am Anfang des Films skizzieren für uns eine dystopische Zukunft, die für uns alle bei gleichbleibendem Kurs zu unserer realen Lebenswelt wird. Die traurige, aber reale Situation, dass Personen nur noch aus Erzählungen erfahren können, wie es sich angefühlt haben muss, diese mächtigen, von Schnee bedeckten Felsstrukturen hinunterzugleiten, betont die Ernsthaftigkeit unserer globalen Krisensituation. Der Film selbst ist eingebettet zwischen dem Narrativ des Intros und einem abschließenden Statement, das die zunehmende Unausweichlichkeit dieser Perspektive verdeutlicht. Zunächst überlegten wir, ob das nicht zu pessimistisch ist, doch kamen wir zu dem Schluss: Nein, es ist realistisch. Wir können und müssen den ZuschauerInnen diesen resoluten Tonfall zumuten.

Diese vergessenen und verlassenen Skigebiete sind mehr als nur leere Gebäude und verrostete Skilifte. Für uns war es die magische Erfahrung, diese Orte auf eine sehr besondere Art und Weise zu erkunden. Letztendlich haben wir erkannt, dass sich unsere Welt ständig verändert, aber auch, dass wir die Macht haben unsere Lebensweisen und Stimmen gemeinsam zu nutzen, diesen notwendigen Wandel zu gestalten und zu beeinflussen.

Diese Plätze sind für uns eine Erinnerung an die Vergangenheit und eine Projektion zugleich. Eine Reise in die Vergangenheit wird zu einer Reise in die Zukunft, zu einer Reflexion über das, was war und was sein wird.




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