bergstolz

TEN - Skifahren ist wunderbar


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März 2021. Ich stehe in Verbier am Bec des Rosses und atme tief ein. Ich mache mich bereit zur Abfahrt. Außer mir ist niemand hier, es herrscht kein Trubel, keine anderen Rider rennen herum, wärmen sich auf oder gehen im Kopf nochmal ihre Line durch. Es gibt kein Startgate und unten wartet auch kein Ziel auf mich. Ich kann meinen Gedanken freien Lauf lassen…

 Es gibt so viele Dinge zu sehen, zu machen, aber bereits von klein auf lernen wir, dass das Leben zu kurz ist. Sind unsere Tage wirklich zu kurz? Oder geben wir den unwichtigen Dingen in unserem Leben nur zu viel Raum und Zeit? Es gibt Momente, da möchte man am liebsten auf den Pausenknopf drücken, um die Welt rund um uns herum anzuhalten. Damit wir all die leisen Töne und Schattierungen dieses besonderen Moments aufnehmen können. Denn die Erinnerung an diese besonderen Momente ist es, die uns in schwierigen Situationen das Hirn frei pustet und uns weitermachen lässt: Hinfallen, aufstehen, weitermachen. Das alles geht mir durch den Kopf, bevor ich nochmals tief einatme und losfahre, mich die ersten Meter des Bec des Rosses hinunterhangele. Rückblende. 22. März 2011. Ich stehe am Bec des Rosses im Startgate. Meine Bib trägt die Nummer 34. Ich bin 21 Jahre alt und strotze nur so vor Selbstvertrauen, denn meine allererste Saison auf der Freeride World Tour läuft extrem gut. Auch den Run beim Verbier Xtreme 2011 schüttele ich regelrecht aus dem Ärmel – und lande damit auf dem zweiten Platz. Dieser zweite Rang beim Finale der Freeride World Tour 2011 bedeutet für mich den dritten Platz in der Gesamtwertung. Als Rookie! Ich befand mich auf dem Weg nach ganz oben in der Freeride Contest Szene. Dachte ich jedenfalls. Zehn Jahre… 

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Es ist bereits zehn Jahre her, dass ich beim Verbier Xtreme auf dem Podium stand. Den zweiten Platz bei diesem Event und den dritten Platz in der Gesamtwertung der Freeride World Tour errang. Und das in meiner ersten Wettkampfsaison! Rückblickend denke ich, dass ich mit meinen 21 Jahren extrem motiviert war. Seitdem ist viel passiert. Heute bin ich mir nicht si-cher, ob man mich jemals wieder mit einer Startnummer sehen wird... Ich verbrachte insgesamt zwei Jahre auf der Freeride World Tour, mit einem sehr guten ersten Jahr, gefolgt von einem völlig verkorksten zweiten Jahr. Im Frühjahr 2012 musste ich mich von der World Tour verabschieden. Für mich war dieser Abschied von der Tournee lange schwer zu verdauen, und meine Leidenschaft für das Skifahren war dahin. Ich habe einfach nicht verstanden, wie ich die zweite Saison so in den Sand setzen konnte. Mein ganzes Leben hatte sich immer nur um Wettkämpfe gedreht, und ich dachte, dass es unmöglich sei, ohne sie auszukommen. Ohne einen Titel als Freeride World Champion weiter Skifahren zu können. Heute, zehn Jahre später, habe ich glücklicherweise einen anderen Blick auf die Dinge. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren viel gelernt: Zum Beispiel, mit meinen Emotionen und Misserfolgen umzugehen. Und auch wenn ich mit 32 Jahren nicht mehr an Wettkämpfe denke, weiß ich heute, dass die Freude am Skifahren ewig in mir weiterleben wird. Heute sehe ich den Berg mit anderen Augen. Es gibt jeden Tag neue Herausforderungen, die mich motivieren und anspornen. Ich will keinen einzigen Skitag verpassen und immer das Beste daraus machen. Rückblickend hat sich offenbar doch nicht alles geändert. Die Lines, die ich früher beim Training und bei Wettkämpfen gefahren bin, sind immer noch da und bringen mich noch immer zum Träumen. Immer wieder fahre ich meine Schwünge, nur mit einer anderen Vision, einem neuen Fokus. Mein Skistil hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Ich interessiere mich mehr für Geschwindigkeit als für technisch anspruchsvolle Lines. Ich liebe es, Schwünge voll auszufahren. Der Bec des Rosses hat meine Karriere als Profiskifahrer begleitet und ist Teil meiner Geschichte. Im Wettkampf gibt es keinen an-deren Berg wie diesen, es gibt keinen, der mit ihm vergleichbar ist! Er ist der legendäre Mittelpunkt der Tour, der heilige Gral der Freeride Contests! Wenn du einmal einen Bewerb am Bec gefah-ren bist, wirst du dich für den Rest deines Lebens daran erinnern. Und mit einem Podiumsplatz als Bonus ist es einfach nur unbeschreiblich. Viele Menschen haben diese Zeit und Erfolge vergessen, aber nicht ich. Dieser Podiumsplatz wird ein Leben lang eine meiner schönsten Erinnerungen sein, wenn nicht sogar die schönste. Und genauso wird der Bec des Rosses für immer dieser eine Berg für mich bleiben. Also März 2021. Letzten Winter bin ich zum Skifahren in diese Gegend zurückgekehrt, nachdem ich mich lange Zeit aus der Ent-fernung gefragt hatte, wie es sich wohl ohne Startnummer auf Brust und Rücken anfühlen würde. Ich hatte zwar das Glück, zwei Mal an einem Wettbewerb auf dieser Strecke teilnehmen zu kön-nen - mit einem zweiten und einem sechsten Platz als Resultat - aber ich bin hier nie einfach nur zum Spaß gefahren. Ich bin nie vom Bec des Rosses abgefahren, nur für mich, nur um Spaß am Skifahren zu haben. Bis zum vergangenen März. Ich fand es wirklich cool, ohne Konkurrenzkampf und mit meinem neuen Skistil zurückzukehren. Nicht um zu springen, sondern einfach um eine neue Abfahrt zu entdecken und zum Vergnügen zu fahren. Ich bin jetzt ein anderer Skifahrer. Ich springe nicht, wenn ich es muss. Ich springe, wenn ich Lust dazu habe. Das Verbier Xtreme, das jeden Winter Ende März stattfindet, be-endet zwar jedes Jahr die Wettkampfsaison, jedoch nicht die Ski-saison.

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Nun kommt die Zeit für alle anderen, Freunde, Familie und die Berge. Es gibt noch ausreichend Zeit und Schnee, ohne Druck Ski zu fahren. Jetzt kommt die Zeit, die ich heute am meisten liebe, die Tage, an denen ich mit Freunden und meiner Familie Skifahren gehe. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben mich gelehrt, mir während der Saison Zeit für Skitage mit den Menschen zu neh-men, die mir am wichtigsten sind. Nicht zu warten, bis der Winter vorbei ist. In der Vergangenheit habe ich das oft vergessen und war vielleicht zu sehr auf die Wettkämpfe und das Training fokussiert. Zum Glück habe ich das in den zehn Jahren seither gelernt und bin mir dessen jetzt bewusst, daher möchte ich das „wirk-liche“ Leben auch nicht mehr beiseiteschieben oder es mir selbst und meinen liebsten Menschen vorenthalten. Dies ist meiner Mei-nung nach einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg. Diese Balance musst du finden. Denn wenn du an Wettkämpfen teil-nimmst, besteht die Gefahr, dass du dich abkapselst. Du hast Scheuklappen an und nur noch das eine Ziel vor Augen: Gewin-nen. Du lebst für den Wettkampf. Du fährst Ski für den Wettkampf. Und vieles bleibt dabei auf der Strecke. Es ist schwer herauszufinden, was dir zum Erfolg verhilft und was dich eher hindert. Im Jahr 2012 habe ich mich selbst viel zu sehr unter Druck gesetzt und verlor jegliche Lockerheit... Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte. Das war ein Schlag ins Gesicht, ein echter Rückschlag. Manchmal, hin und wieder, vermisse ich noch meine Startnummer, aber das Skifah-ren mit meiner Familie hat jetzt Priorität in meinem Leben. Der Wettbewerb, die Freude am Ruhm – das alles hält nur eine Weile an. Aber das Glück, das mir meine Lieben schenken, ist uner-messlich. In meiner Karriere als Skifahrer habe ich viele Höhen und Tiefen erlebt. Die Wettkämpfe sind nicht so verlaufen, wie ich gehofft hatte. Ich machte Fehler, wusste nicht, wie ich mit Emotionen und Leistungsdruck umgehen sollte. Ich lernte aber auch, mich selbst wieder auf die Füße zu stellen. Ich wurde erwachsen. Ich ent-deckte das Filmen und Fotografieren als neue Herausforderung und als Ventil. Das eröffnete mir eine gänzlich neue Möglichkeit, einen völlig neuen Weg in meiner Karriere, den ich einschlagen konnte. Ich bekam die Chance, neue Visionen zu verwirklichen und meine Fähigkeiten zu zeigen, egal zu welcher Jahreszeit. Heute ist mein einziger Wunsch, so lange wie nur irgend möglich Ski zu fahren, und jeden Tag draußen in den Bergen Spaß zu haben. Meine Eltern sind heute fast 70 Jahre alt und fahren immer noch jeden Tag Ski, egal wie das Wetter ist und ganz gleich, wie der Schnee ist. Wenn ich daran denke, fühle ich in mir drin genau dasselbe wie mit 21 Jahren am Bec des Rosses im Start-gate, Startnummer 34 auf Brust und Rücken: Skifahren ist ein wunderbarer Sport.

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Infobox

TEN // Jérémy Prevost
Im 12minütigen Film „Ten“ erzählt Jérémy Prevost, wie er sich vom FWT-Teilnehmer zu dem Skifahrer entwickelt hat, der er heute ist. Zu sehen sind beeindruckende Berge, spektakuläre Lines, die man irgendwie von der World Tour kennt, aber noch nie so gesehen hat, und vor allem der Spaß, den Jérémy Prevost beim Skifahren hat – selbst wenn es ums Auffellen und Hiken geht.

ten 06Jérémy Prevost
Méribel, Frankreich
Jérémy Prevost ist leidenschaftlicher Skifahrer und ein Freigeist. Er sagt: „Das Leben am Berg ist leichter und mehr Rock’n’Roll als die Realität.“ Sein größter sportlicher Erfolg – in Sachen Contests – war ein dritter Gesamtrang auf der Freeride World Tour 2011. Im Jahr darauf musste er die FWT verlassen und
durfte ganz andere Seiten des Freeridens für sich entdecken. Heute fährt der 32-jährige immer noch Ski, aber mit ganz anderem Anspruch: Er will Geschichten erzählen. Unterstützt wird er von seinen Sponsoren Méribel, Black Diamond und Cébé.

www.jeremy-prevost.com

 




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