THE NEVER ENDING STORY
EVA WALKNER
Ich stehe am Gipfel von "McDaddy" in Revelstoke Canada. Der Freeride World Tour Saisonstart geht hier nun schon zum zweiten Mal über die Bühne. Ich stehe oben, warte mittlerweile schon fünf Stunden bei -25 Grad und ganz ehrlich, ich hab irgendwie null Bock runterzufahren. Mit einer Startnummer jenseits der 60 ist vom frischen, in der Sonne glitzernden Pulverschnee so gut wie nichts mehr übrig, stattdessen steht mir ein Run mit unzähligen Sharks, einer eisigen Buckelpiste, fette Bombholes von den Männern in meiner Landung und ein nordseitiger und finsterer Schattenhang mit herumziehenden Nebelschwaden bevor. Sich trotzdem für einen Contest-Run zu motivieren und alles zu riskieren fällt mir mittlerweile echt schwer. Aber Schluss mit den negativen Gedanken, rede ich mir ein. Ich hab sechs Monate lang hart trainiert, geschwitzt und gelitten und alles nur für mein großes Ziel: Weltmeisterin zu werden. Die Bedingungen sind schließlich für alle Mädls gleich besch...eiden.
Ein Traum zerplatzt!
Wie schnell so ein Traum in der Luft zerplatzt hab ich bei meinem Double-Cliff spüren dürfen. Ich hab riskiert, bin das höchte Cliff bei den Frauen gesprungen und auch gelandet, zwar nicht sauber, aber gestanden. Die Landung wählte ich etwas gegen die Falllinie, es sind dort zuvor schon Dutzende Jungs hineingelandet. Leider musste ich den Preis für meinen unbändigen Ehrgeiz, nicht zu stürzen, zahlen. Hätte ich mich nach meinem Backslap einfach fallen lassen, hätte ich ein paar Saltos geschlagen, wär aufgestanden und hätte mich ein wenig geärgert. Nein. Ich hab gekämpft und alle meine Kräfte zusammengenommen, dass ich meinen Hintern wieder nach oben bringe. Dann höre ich dieses Geräusch in meinem Knie. Oh NO! Bitte nicht! Ich vermutete das Schlimmste, trotzdem war der Schmerz nicht allzu groß. Also, weiterfahren und den Run zu Ende bringen, ein Podiumsplatz könnte schon noch drinnen sein. Beim nächsten Schwung bricht dann eine Welt zusammen. Mein Oberschenkel schiebt sich über meinen Unterschenkel hinaus. Ein grauenvolles Gefühl! Ich stürze. Eigendiagnose: Kreuzbandriss. Von einer Sekunde auf die andere zerplatzen alle meine Projekte, Pläne und Träume für diesen Winter wie eine Seifenblase. Wieder einmal. Nach vier schweren Verletzungen immer wieder den Weg zurückfinden ist alles andere als ein Kinderspiel und ich weiß genau, was die nächsten Monate auf mich zukommt, dachte ich zumindest. Doch es kommt alles ganz anders, viel schlimmer als ich es mir je vorstellen hätte können.
Eine Thrombose als Willkommensgeschenk
Zuhause angekommen fahre ich sofort zu meinem Vertrauensarzt. Das komische, meine Wade schmerzt viel mehr als mein Knie, so als ob dieser ganze Erguss nach unten gewandert ist. Diagnose: Thrombose! Nachdem ich die Ärztin in Revelstoke dreimal darauf hingewisen hatte mir ob der langen Rückreise bitte eine Thrombosespritze zu geben, diese aber verweigerte, darf ich mich zuhause gleich direkt drei Tage ins Spital begeben. Vier Wochen später dann die Kreuzband OP und meine Leidensgeschichte beginnt. Keine Ahnung an was es gelegen hat, wer oder was Schuld war, warum es mich diesesmal so extrem erwischt hat – jedenfalls hatte ich eine Kreuzband Rekonvaleszenz etwas anders in Erinnerung. Und zwar so, dass ich verdammt schnelle Vortschritte mache und im Winter wieder fast zu 100% fit bin, zumindest war es bei meinen zwei anderen Kreuzband-Verletzungen so. Dass es auch anders als optimal laufen kann, zeigen mir die nächsten zehn Monate.
Foto: Christoph Oberschneider
Zeit für neue Träume!
Das eigentliche Problem, welches sich über Wochen zieht, ist meine Streckung. Trotz täglicher Physiotherapie, Akkupunktur und Fleiß, keine Streckung in Sicht. Mein Physiotherapeut stimmt mich immer positiv und motiviert mich: "Nicht aufgeben und dran bleiben". Das mache ich auch. Egal welche Therapieform ich versuche, leider hilft einfach gar nichts. Zwischendurch versuche ich mich als Judge einiger Freeride Qualifier Events. Jetzt weiß ich auch wie unglaublich schwer es ist, einen Freeride Contest fair zu judgen. Außerdem hab ich ein wenig für mich selber dazugelernt. Theoretisch weiß ich nun also ganz genau wie ich gewinne. Durch die viele Zeit die mir bleibt, hab ich nun Zeit etwas früher mit der Winterplanung zu beginnen. Mit Nadine Wallner und Christine Hargin hab ich die für mich besten Freeskierinnen und tollsten Persönlichkeiten an Board geholt - wir drei wollen uns einen lang ersehnten Traum erfüllen: Alaska. Das motiviert natürlich extrem und ich bin mit der Organisation ziemlich eingeteilt. Den ganzen Winter über versuche ich mich abzulenken, meine ganzen Facebook Ski-Freunde werden "gehidet" um deren postings nicht ansehen zu müssen. Den Tipp hat mir übrigens Basti Hannemann gegeben. Basti war auch einer der Ersten, der mich in Canada nach meinem Sturz angerufen und mir Mut gemacht hat. In so einer Situation merkt man erst, wie wichtig Familie und Freunde sind. Nadine Wallner hat sogar ihren Flug versäumt, weil sie mit ihren gerade mal 160cm, allein vier schwere Taschen schleppen musste und dann drauf kam, dass sie keine gültige ESTA hatte. Immer wieder schreiben mich Leute auf Facebook an, die das gleiche Problem haben, fragen mich was sie am Besten tun sollen und bitten mich um Rat. Man tauscht sich aus, das hilft – nicht nur den anderen, sondern auch mir.
Foto: Christoph Oberschneider
Sekundäre Arthrofibrose und Zyklopssyndrom!
Ich gehöre zu den auserwählten 10%
Ich beschließe mich einer weiteren OP zu unterziehen. Die fehlende Streckung ist noch immer das Problem und Narbengewebe sollte entfernt werden. Nach der OP zeichnet sich eine kleine Besserung ab, aber die gewünschte Streckung ist noch immer sehr fern. Es folgen drei weitere Monate Physio und Training. Durch das Beuge- und Streckdefizit entstehen andere Probleme, auch der Muskel steuert nicht richtig an beim Training. Ich bin verzweifelt und positiv gleichermassen. Ein emotionales Auf und Ab wie ich es noch nie erlebt habe. Drei Monate später entscheide ich mich dann weitere Meinungen einzuholen und bekomme die niederschmetternde sekundäre Arthrofibrose und Zyklopssyndrom. Drei Tage später liege ich in Innsbruck im Sanatorium Kettenbrückengasse wieder unterm Skalpell. Laut Dr. Golser und Dr. Oberladstätter wurde der Zyklops und Unmengen an Narbengewebe entfernt. Die Streckung ist endlich da und ein Licht am Ende des Tunnels sichtbar. Leider bereiten mir meine Muskelansätze die nächsten Wochen enorme Probleme. Durch das lange Beuge- und Streckdefizit, welches ich nun endlich nicht mehr habe, zwickt es überall und hindert mich am Training und dem so wichtigen Muskelaufbau. Erneute Verzweiflung kommt hoch. Ich weiß, ohne eine starke Muskulatur keine World Tour und Alaska kann ich mir auch abschminken. Ich strotze gerade so vor Motivation, aber was tun, wenn der Schmerz beim Training einfach unaushaltbar ist.
Ich gebe nicht auf! Ich bin eine Kämpferin!
So viele Verletzungen haben mich eines gelehrt: Für seine Träume und Ziele zu kämpfen und niemals aufzugeben! Und genau das mache ich. Mit meinem Trainer Reini Innerhofer stelle ich im Olympiazentrum einen an meinen Schmerz angepassten Trainingsplan zusammen. Mit dem GO von den Ärzten und meinem Physio trainiere ich in den Schmerz hinein. Schließlich ist es nur die Quadrizepssehne, die Probleme macht. Das Knie fühlt sich gut an. Ein scheiß Gefühl mit so starken Schmerzen zu trainieren. Aber ich hab keine Wahl. Zähne zusammenbeißen und an unverspurte Hänge in Alaska denken, das Hilft immer. Ich komme jeden Tag auf meine fünf Stunden Training. Ich liebe es, endlich wieder so starken Muskelkater zu haben, dass ich kaum normal gehen kann und ich bin der glücklichste Mensch, wenn die Zahl am Maßband einen Zentimeter mehr Oberschenkelumfang anzeigt, als noch eine Woche zuvor. Am Abend schaue ich mir immer und immer wieder die Bilder von Alaska an. Das hält mich stark, motiviert mich und ich schöpfe Energie daraus! Obwohl ich nicht weiß, was meine Saison bringt und was mein Knie zulässt, ich gebe alles und mit Sicherheit niemals auf!
10 Tipps, wenn ihr euch einen Kreuzbandriss zugezogen habt:
- Operieren gehen! Viele versuchen es zu Beginn ohne, aber früher oder später kommen die meisten drauf, dass es einfach nicht funktioniert. Möglicherweise wird dann auch noch der Meniskus beschädigt und eine gewisse Instabilität bleibt einfach. Wenn ihr also weiterhin Skifahren wollt, dann wird euch eine OP nicht erspart bleiben.
- Ihr müsst euch für eine Technik entscheiden. Entweder für die Patellarsehne oder die Semitendinosus. Ich hab mich für die Patellar entschieden. Dauert zwar etwas länger in der Heilungsphase, ist aber angeblich stabiler. Die Semi ist bei mir wieder gerissen, die Patellar hält nun schon mehr als zehn Jahre. Aber hier muss jeder selber entscheiden. Beide Techniken sind sehr gut.
- Entweder innerhalb der ersten 48 Stunden nach dem Riss operieren gehen oder aber 4 – 6 Wochen warten. Wichtig: Ein Physio eures Vertrauens soll euch für die OP freigeben. Wird zu früh operiert, kann euch das später enorme Probleme bescheren. Also lieber 2 Wochen länger warten, auch wenn es schwer fällt.
- Geht zu einem Spezialisten. Es macht einen extrem großen Unterschied, ob euch ein Arzt operiert der 5 Kreuzbänder pro Jahr richtet oder jemand der 100 pro Jahr operiert. Informiert euch gut.
- 50% eines guten Heilungsverlaufs liegt am Physio. Geht also zu einem Therapeuten dem ihr vertraut und der sich mit dieser Verletzung auskennt.
- Nicht unterkriegen lassen. Es wird Höhen und Tiefen geben in eurer Reha. Aber egal wie schwer es einem manchmal fällt positiv zu bleiben, Fleiß und Durchhaltevermögen ist das Wichtigste. Euer Knie wird es euch später danken.
- Nicht übertreiben. Vielen geht es nach der OP schon so gut, dass sie glauben, sie können mehr tun als ihr Knie bereit ist. Der Boss ist immer noch das Knie und wenn ihr euch keine böse Entzündung einfangen wollt, die euch um Wochen zurückwirft oder schlimmstenfalls nochmal alles von vorne losgeht, dann übertreibt es in den ersten Wochen Post-OP nicht.
- Muskelaufbau. Es ist wichtig die Muskulatur runderhum wieder aufzubauen, bevor ihr das erste Mal auf Schnee geht. Präventiv um einer neuen Verletzung vorzubeugen und damit das Knie wieder stabil wird – außerdem, viel Training hat auch einen positiven Nebeneffekt: Ihr könnt soviel essen wie ihr wollt ohne zuzunehmen.
- Hört auf euer Gefühl und euren Körper und seid nicht zu ungeduldig. Ein Kreuzbandriss ist im Sport zwar eine Routineverletzung, aber trotzdem nimmt die Rekonvaleszenz eine lange Zeit in Anspruch.
- Das Knie wird zwar nie wieder so wie zuvor, trotzdem, mit einer guten Muskulatur und einer gewissen mentalen Stärke werdet ihr im kommenden Winter wieder viel Spaß haben.