Steilwand Skifahren – A/Z – Ostalpen
ANFÄNGE //
Angefangen hat das für mich alles mit dem Buch „Meine Spur, mein Leben“ des Südtiroler Steilwandfahrers Heini Holzer. Ursprünglich aus dem Park kommend, schulte ich nach etlichen kapitalen Crashs und einem Knorpelschaden auf Freerider um. Mit 18 begann ich zu klettern und beim Eisklettern kam die Idee, die Ski mit rauf zu nehmen und dann halt auch runterzufahren. Als ich Heini Holzers Buch in die Finger bekam, eröffnete sich mir eine neue Welt: Ich begann, seine Routen nachzufahren.
BAUCHGEFÜHL //
Beim Steilwandfahren musst du auf deinen Bauch hören. Die Innerkoflerrinne bin ich z.B. erst im dritten Anlauf gefahren. Beim zweiten Versuch mit zwei Freunden war der Schnee perfekt, aber mir war schon im Aufstieg schlecht und ich hab mich gefürchtet. Als es richtig steil wurde, habe ich abgebrochen: „Für mich passts heute nicht, ich warte auf euch und mach Fotos, wenn ihr weiter wollt.“ Wollten sie aber alleine nicht. Als wir abgefahren sind, ist in der Rinne daneben in derselben Exposition eine Lawine runter, die alles weggeräumt hat. Wären wir rauf, hätte uns definitiv ein Brett erwischt.
CIMA TOSA //
Die Cima Tosa ist eine Einsteiger-Steilwandtour, nirgendwo steiler als 47°. Sicherlich ein Klassiker, aber von der „steilsten Rinne der Ostalpen“, wie oft behauptet wird, meilenweit entfernt.
DAHEIM //
Ich war 2018 so viel auf Reisen, jetzt bin ich erst einmal froh, dass ich bis ins Frühjahr daheim in Debant und auf der Dolomitenhütte bin.
ETHIK //
Eine Befahrung zählt nur, wenn man von oben bis unten die Ski an hat und dann auch nur, wenn man frei und nicht am Seil fährt. Dass der Aufstieg „by fairmeans“ und nicht mit dem Heli erfolgt, versteht sich da von selbst. Ebenso, dass man nur reelle Steilheiten angibt. Steilwandfahren ist für mich die Königsdisziplin, eine Kombination aus Skifahren und Alpinismus. Da sollte wie auch im Alpinismus die Ethik des Sports respektiert werden.
FAHREN //
Für mich war Speed immer wichtig, es heißt ja Steilwandfahren und nicht Steilwandrutschen. Klar möchte man ein paar Touren abhaken, aber für mich ist eine Line erst gefahren, wenn ich sie wirklich gefahren bin. Letzten Winter habe ich viele Touren wiederholt, weil es mich gewurmt hat, wie ich da runtergerutscht bin. Der Vergleich von altem und neuem Videomaterial war dann doch sehr befriedigend.
GROSSGLOCKNER //
Meine Steilwand-Premiere feierte ich in der Pallavicini Rinne am Großglockner. Und wie! Über die Adlersruh hinauf ins Schartl, von dort abseilen und drin stand ich. Zu der Zeit war ich der Erste, der mit einem fetten Ski da oben war. „Du spinnst doch! Du kannst ja die Aufstiegsspur gar nicht benutzen!“ Stimmt natürlich, aber als ich oben war, hab ich einen langen, breiten Ski gehabt und war der Chef. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder so einen Tag bekommen werde in einer Steilwand: Es war Mai und hatte frisch geschneit, die Sonne schien und der Pulver war perfekt – du hast Vollgas fahren können. Wenns zu schnell wurde hast du dich zurückgelehnt und bist ein paar Turns gesurft. Ganz oben ist es brutal schmal, aber direkt nach der Engstelle wird es weit – ich bin Schuss da durch. Die Jungs, die gerade aufgestiegen sind, haben mich für verrückt erklärt.
HORNKOPF //
Der Hornkopf ist einer der schönsten Berge, die ich je befahren bin. Die Linie hatte ich am Weg zum Petzeck gesehen, einer klassischen Steilwandtour in der Schobergruppe. Beim Aufstieg hab ich immer wieder hinüber geschaut: „Was für ein Mordsgerät!“ Irgendwann wurde der Hornkopf wieder aktuell. Wir haben uns das Ganze von der Gegenseite aus angesehen, konnten aber meine Line nicht mehr finden. Im Sommer wars noch schlimmer: Eine schwarze Wand. Im Osttiroler Jahrhundertwinter 2014 haben Magdalena Habernig, Tom Mariacher und ich Anfang Januar einen weiteren Versuch gestartet. Durch eine harte Rinne sind wir nach oben gestiegen und gerade, als es richtig steil wurde, standen wir im Pulver. Der Tiefblick war überwältigend. Die erwarteten Schwierigkeiten in der Abfahrt – zwei Felsstufen – ließen sich problemlos meistern, auch wenn es teilweise so eng war, dass es nur mehr gekracht hat: Die Ski sind vorne und hinten am Fels angestoßen. Der Rest war nur geil.
IDEEN //
Mit der Zeit entwickelst du ein Auge für Lines. Dann kommst du von einer Befahrung mit 15 neuen Ideen nach Hause, dann findest du plötzlich vor der Haustüre eine Linie, die noch niemand zuvor gefahren ist. So wächst meine Liste von Befahrungen, und auch die der Erstbefahrungen: Es sind mittlerweile schon mehr als 40.
JEMALS //
Bei einigen meiner Befahrungen weiß ich nicht, ob sie jemals wiederholt werden können, du hängst beim Steilwandfahren von deiner persönlichen Verfassung und von den äußeren Bedingungen ab. Am Polinik können es die Einheimischen bis heute selber kaum glauben – und ich übrigens auch nicht – dass das zum Fahren geht.
KÖNIGSWAND //
Die Königswand hat sich gewehrt! Wir sind vier Mal hingegangen und haben drei Mal an derselben Stelle, der Querung, abgebrochen: Auf den Platten findet man einfach keinen Halt. Tom Mariacher und ich haben abwechselnd versucht, hinüber zu kommen, aber: Einmal runter geschaut und vorbei wars. Wir wollten ein Podest raushacken, aber der Schnee war nicht tief genug. Schließlich wollte es Tom noch ein letztes Mal versuchen, wenns nicht funktioniert drehen wir um. Und wirklich: „Es geht! Komm rüber!“ Ich steige nach, bin fast bei ihm: „Dreh um, geht doch nicht.“ Ich drehe wieder um, ziehe die Ski an und fahre los, da schreit er mir plötzlich zu, dass er es doch geschafft hat. „Was soll ich jetzt machen? Dir beim runterfahren zuschauen?“ Schließlich ist er durch die Wand aufgestiegen und ich von der Hinterseite, damit wir uns am Gipfel treffen konnten. Nach Mixed-Kletterei und hüfthohem Sulz fuhren wir gemeinsam ab, auch die Stelle an der Platte war überraschend unkompliziert. An der Königswand habe ich Geduld gelernt, nachdem alle vorherigen Projekte wie am Schnürchen geklappt haben.
LA LISTE //
La Liste von Jérémy Heitz hat das Steilwandskifahren wieder mehr in den Fokus gerückt, das freut mich. Für mich persönlich hat sich dadurch aber nicht viel geändert, schließlich haben mich meine Sponsoren schon vorher in dem unterstützt, was ich tue. Ich finde es aber schade, dass viele andere Filme keine Aufmerksamkeit bekommen, obwohl die genauso steile Sachen fahren.
Kreuzkofel
MATERIAL //
LVS, Schaufel und Sonde sind immer dabei, die Steigeisen je nach Bedingungen entweder aus Alu oder Stahl. Meistens reicht ein Eisbeil, wenns richtig steil wird braucht es zwei. Ein Seil habe ich fast nie mit. Bisher musste ich auch nur auf der Altensteinplatte Schlaghaken setzen, weil der Gully nicht zu befahren war. Die Line hat sich ein Südtiroler Kollege x Mal angesehen, der hat mich dann mitgenommen. „Nimm Seil und Schlaghaken mit, nur sicherheitshalber natürlich.“Wir sind von hinten rauf gestiegen und es war perfekt – bis zum Gully.
NEIN //
„Nein!“ musste ich erst lernen. Mein Schlüsselerlebnis war ein Filmdreh mit Sam Anthamatten, der Hubschrauber kreiste über uns und wir sind am Laserzkopf raufgestapft, obwohl wir beide ein ungutes Gefühl hatten. Dann hat uns das Brett erwischt. Wir hatten beide unglaubliches Glück. Seitdem lassen wir es sein, wenn einer von uns kein gutes Gefühl dabei hat – wir müssen uns nichts beweisen.
ORTLER //
Die Schückrinne am Ortler ist ein ca. 1200 Meter langes Couloir in der Nordwand, Schlüsselstelle ist eine Querung, von der man liest, sie sei 60° steil. Da man nicht durch die Rinne aufsteigen sollte, haben wir uns für den Normalweg entschieden. Oben angekommen hatten wir gerade noch fünf Minuten strahlendblauen Himmel, bevor es zuzog – nicht cool. Wir haben kurz gewartet und sind ein Stück runter auf ein kleines Plateau. Wolken weg – perfekt, wir fahren los. An der Stelle, an der es endgültig richtig steil wird, haben wir wieder keine Sicht mehr, warten also wieder – eine halbe Stunde. Als es dann aufgemacht hat konnten wir direkt hinunter in die Nordwand sehen, wir hatten genau in der Querung gewartet. Gemessen haben wir nur 47°, aber der Tiefblick hat es in sich. Die schwierigste Stelle kam aber erst viel weiter unten: Das was für uns am Vortag wie Schnee aussah, war in Wirklichkeit senkrechtes, weißes Eis.
Grossglockner
PROJEKT //
Vom ersten Blick in eine mögliche Line bis zum Befahren können Jahre vergehen, manchmal geht’s aber auch richtig schnell: Im Jahrhundertwinter 2014 waren es oft nur drei Tage, die wir für unsere Projekte gebraucht haben. Wir haben die Routen nur mehr abgehakt.
QUALITÄT //
Die Qualität einer Abfahrt ist für mich eine vollkommen andere, wenn ich sie mir selbst erarbeitet habe, als wenn ich Lift gefahren bin. Mittlerweile gibt mir ein Skitourentag wesentlich mehr, als ein Tag Freeriden im Gebiet.
RISIKO //
Ich bin das, was ich tue. Meine Freundin weiß, dass ich wieder nach Hause komme und ich minimiere das Risiko auf meinen Touren. Für mich ist das Skifahren im freien Gelände ein Abenteuer in unserer reglementierten Welt. Ich kann tun, was ich will, aber es muss mir bewusst sein, dass jede meiner Handlungen Konsequenzen nach sich zieht.
STEILHEIT //
Steilheit fängt dort an, wo du dich nicht mehr wohlfühlst. Menschen nehmen Steilheit unterschiedlich wahr, je nach Verfassung und Bedingungen. Auch ich: Dieselbe Route bin ich bei schlechten Bedingungen mit dem Eispickel in der Hand gefahren, bei guten Verhältnissen Vollgas. Steilwandbefahrungen fangen ab 45° an, würde ich sagen, die Cima Tosa hat 47°. Das steilste, was ich je gefahren bin waren 57°, mehr geht für mich nicht.
Aufstieg Hochgrabe
TIEFBLICK //
Der Tiefblick ist bei jeder Steilwandbefahrung einer der Schlüsselmomente: Überwältigend, aber manchmal auch angsteinflößend. In der Königswand war es der Tiefblick, der uns beinahe zum Umdrehen gebracht hat.
UMDREHEN //
Ich hab oft umgedreht, in Pakistan, oder auch am Hornkopf. Man muss einfach auf den Bauch hören, auch wenn es nur mehr 50 Höhenmeter auf den Gipfel sind. Wenn man sich nicht danach fühlt, dann ist auch meistens was. Dann sollte man aber immer noch in seiner Komfortzone sein, denn ansonsten wird dir schlecht und du bekommst richtig Angst. Es gibt keine Heroes im Gelände, das gilt für Steilwände genauso wie für den Powdertag mit Kumpels. Wenn die Lawine geht, hast du vorher schon alles falsch gemacht. Lieber einmal öfter auf den Bauchhören und umdrehen als tot.
Hochgrabe
VORBILDWIRKUNG //
Damals wie heute gilt: Was in den Filmen gemacht wird, machen die Kids nach. Meiner Meinung nach sollte in den Filmproduktionen daher nichtnur gezeigt werden, dass Lawinen ausgelöst werden können, sondern auch, dass das nicht alles easy going ist: Auch den Pros schlackern nach einer Lawine die Knie!
WETTBEWERB //
Für mich persönlich hat der Wettbewerbsgedanke im Freeriden keinen Platz. Für andere ist das völlig in Ordnung, aber ich muss den Leuten, mit denen ich unterwegs bin, nichts beweisen. In der Steilwand musst du dein Ego zurücknehmen und dich auf das, was du tust, konzentrieren.
YEAH! //
Ja klar, wenn eine Befahrung glückt, vor allem, wenn sie schwierig war, dann schreit man unten vor Glück!
ZUKUNFT //
Für das kommende Frühjahr steht ein Filmprojekt mit Andi Gasser im Drei-Länder-Eck Italien, Slowenien und Österreich an, mit dem wir die Schönheit unserer Landschaft zeigen wollen. Und mit Peter Ortner plane ich einen Trip nach Peru: Bergsteigen, Skifahren und Radfahren. Jetzt freue ich mich jedenfalls erstmal auf die Zeit zuhause.
PS: Ja, das X fehlt. ;-)