Home Spot #Verbier
Sommer ist‘s! Die Bike-Bedingungen könnten gerade nicht besser sein, so auch im Wallis in den Schweizer Alpen, wo Ludo May schon geboren wurde und immer noch lebt. Sein Heimatörtchen Villette liegt am Fuß des Skigebiets von Verbier, umgeben von unzähligen, immens beeindruckenden Berg - gipfeln – immerhin die höchsten der Alpen. Ach ja: Die Liftanlagen laufen übrigens nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer. Perfekte Bedingungen also, um einen Ausflug nach Verbier zu unternehmen und uns von Local Ludo seinen Home Spot zeigen zu lassen.
Ludovic, wie er mit vollem Namen heißt, entdeckte mit acht Jahren seine Passion. Die Schweizer Downhill Meisterschaft fand sozusagen hinter seinem Elternhaus statt und er war dermaßen begeistert, dass er nichts Anderes mehr wollte, als genauso den Berg auf einem Bike runter zu brettern. „Ich hab eigentlich keine Hausaufgaben mehr gemacht, bin nur noch Rad gefahren“, lacht er heute. Das war 1999 (Schweizer Meister wurde damals übrigens Claudio Caluori). 2018 fährt Ludo May in der Enduro World Series und ist Profi-Mountainbiker. Ein bisschen Bammel haben wir also schon, mit diesem Guide die nächsten Tage an seinem Home Spot unterwegs zu sein. Auch nach 15 Jahren Rennsport und sieben Jahren als Profi ist Verbier immer noch Ludos Lieblingsrevier. Seine Freude und Schwärmerei über sein Zuhause ist ansteckend. Er kennt jeden einzelnen Trail, jeden Teilabschnitt und jeden Stein. Was für ein Glück für uns, mit ihm unterwegs zu sein! Zusätzlich hat er uns noch mit ein paar seiner Secret Spots bekannt gemacht: „Damit wir auch was Abenteuerliches sehen!“
Die beiden Talseiten des Val de Bagnes - auf Deutsch Bangi- oder Baniental - in dem Verbier liegt, könnten unterschiedlicher nicht sein. Verbier liegt auf einem nach Süden ausgerichteten Plateau, das fabelhafte Panorama über das Massiv des Grand Combin ist unerreicht. Die für die Biker geöffneten Liftanlagen befinden sich hauptsächlich im Gebiet von Verbier, bzw. in La Tzoumas auf der nördlich ausgerichteten Rückseite. Insgesamt stehen fünf Lifte, acht Bikepark-Strecken und mehr als 220 km Enduro-Trails zur Auswahl. Gut, dass wir einen Guide haben, der das sein angestammtes Revier nennt.
Auf der gegenüberliegenden Talseite des Vallée de Bagnes liegt Bruson, ein kleines Skigebiet, dessen Liftanlagen nur im Winter in Betrieb sind. „Mein Enduro-Paradies!“ schwärmt Ludo. Der mit Anhänger ausgestattete Postbus, der hinauf ins Dorf fährt, nimmt Biker und ihre Gefährte mit bis auf ca. 1.500 Meter Seehöhe nach Moay. Das spart Energie, die man für die Abfahrt gut brauchen kann. Oder auch fürs Treten zum Col de Mille. Hat man die Hütte am Col de Mille einmal erreicht, sind die Trail-Optionen bergab jedoch schier unendlich: Flowtrails, Ridges, technische Runs, Spitzkehren, lange Traversen – insgesamt geht es um 1.600 Tiefenmeter und einige der besten Trails der Gegend.
Zu Beginn gehen wir auf der Bruson-Seite auf Entdeckungstour. Wir shutteln per Postbus und treten dann auf den ersten Gipfel des Tages. Eine Stunde auf der Schotterstraße, und schon geht’s rein in den ersten Trail. Gerade über der Baumgrenze verläuft eine flowige Passage, die einen unglaublichen Ausblick auf Verbier bietet. Wir fahren, mit fettem Grinsen im Gesicht: Love at first sight! Eine weitere Stunde bergauf treten, danach geht’s noch zu Fuß weiter. Ludo hat das mit dem Hiken nicht ganz verstanden, springt die steilen Serpentinen mehr hinauf als er sie fährt. Wir tragen das Bike jedenfalls. Als wir endlich die Schweizer Flagge vor der Cabane de Mille stolz im Wind wehen sehen, freuen wir uns auf eine Stärkung mit Kaffee und Kuchen. Die haben wir uns auch redlich verdient, bevor wir den Weg hinunter ins Tal in Angriff nehmen. Das Panorama auf Montblanc und Trient Gletscher ist atemberaubend schön und entschädigt uns für den Hike.
Was uns nun erwartet, beschreibt Ludo als einen seiner Lieblingsspots rund um Verbier: „Ich liebe das hier, es ist hier definitiv wilder als anderswo und man ist ziemlich weit ab vom Schuss.“ Im Klartext: Über einsame und wenig befahrene Wege geht’s zurück ins Tal. Das Terrain ist schwierig zu erreichen und abgelegen, kein Wunder, dass Ludo die neueste Episode von „Ludo & son vélo“ zusammen mit Jérôme Clementz hier gedreht hat – man ist alleine. Die Abfahrt hier gehört eindeutig zum Besten, was man als Mountainbiker fahren kann! Der Trail führt das Nordface des Mont Rogneux hinunter, immerhin der nördlichste Dreitausender in der Combingruppe. Die Strecke bietet alles, was das Enduristiherz begehrt: Sie beginnt in sandigem Terrain bevor sie in Weideflächen übergeht und dann schließlich auf lehmigem Untergrund ausläuft. Lang, abwechslungsreich und technisch.
Auf halbem Weg stoppen wir an einem der glasklaren Alpenseen, bevor wir uns auf den letzten Teil des Wegs machten. Ein weiterer sehr spezieller Moment, als ob dieser Tag nicht schon genügend von ihnen für uns bereitgehalten hätte. Schließich verläuft der letzte Abschnitt des Trails im Forêt de la Perche in einer natürlichen Bobbahn. Ein ziemlich genialer Abschluss für unsere Tour, die wir bei einem Feierabendbier in der Dorfbar ausklingen lassen.
Am nächsten Tag beschließen Ludo und sein Fotograf und Freund Laurent Bruchez, uns mit auf eine alpine Biwaktour zu nehmen. Ohne Zelt. „Wir wollen unbedingt das erste Morgenlicht erwischen“, erklärt uns Laurent achselzuckend. Na gut, dann halt zelten ohne Zelt. Die Tour stellt sich als absolut verrückter Aufstieg heraus. Allerdings mit überwältigender Aussicht. Start war nicht weit entfernt der Liftanlagen von Verbierund der Mont Fort Hütte. Ludo erzählt uns ungefähr hier, dass er diese Tour erst einmal in seinem ganzen Leben gemacht hat. Super, das sind ja rosige Aussichten… Der Trail bergauf klammert sich an die Rückseite des Bec des Rosses, auf dessen Nordseite beim Verbier Xtreme jedes Jahr die Freeride World Tour entschieden wird. Nur um das klar zu stellen: Freeride wie in Skifahren oder Snowboarden, nicht Freeride wie in Bike. Wie steil der Trail bergauf wirklich war? Sehr steil. Sogar Ludo trägt sein Bike stellenweise. “Das gehört dazu”, meint er lapidar und zuckt die Achseln. Und lacht wieder. Eineinhalb Stunden fahren, schieben und tragen wir bergauf, bis wir endlich unseren Schlafplatz erreichen: Einen kleinen Pass auf 2.648 Metern, der gerade genug Platz für unsere Schlafsäcke bot.
Das Ziel dieser Mini-Expedition war klar umrissen: Die Nacht draußen unter dem Sternenhimmel verbringen und um 5:30 Uhr das erste Morgenlicht für Fotoauf nahmen nutzen. Wie beruhigt wir waren, dass diese Nacht auf dem Pass und unser Schlafplatz nicht nur uns, sondern auch Ludo Respekt abrang! Aber er winkt gleich wieder ab: „Für einen Schlafwandler schon irgendwie logisch oder?“ Ach so, ja dann gute Nacht! Perfekt ist ein Wort, dass man nicht inflationär benutzen sollte. Der nächste Morgen aber war absolut makellos, als wir uns aus unseren Schlafsäcken schälten, einfach perfekt. Genauso wie wir es erhofft hatten: Ein spektakulärer Sonnenaufgang über dem Grand Combin, keine einzige Wolke in Sicht und zur Begrüßung ein Steinbock, der sich über uns wunderte. „Ein perfekter Start in den Tag!“ meinte Ludo.
Allzu viel Zeit ließen uns Laurent und Ludo allerdings nicht, um die Morgenstimmung zu genießen, schließlich hatte ersterer seine Kamera schon ausgepackt. Ludo war bereit und stieg in dieser besonderen Lichtstimmung aufs Bike. Wir folgten ins ausgesetzte Gelände. Der Weg bergab war dann beileibe kein Zuckerschlecken, Trial- Skills sind hier empfehlenswert, außerdem sollte man nicht unbedingt Höhenangst haben.
Zurück in Verbier konnten wir uns das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht wischen, viel zu viele epische Trailmomente hatten wir genießen dürfen. Hier rund um Verbier stehen ein paar der schönsten Berge Europas und die sind auch mit dem Bike eine Reise wert. Das Letzte, das wir von Ludo hören, bevor wir uns verabschieden? „Immer und immer wieder ist es für mich das Schönste, mich angesichts dieser wunderbaren und beeindruckenden Natur und Landschaft ganz klein zu fühlen.“