Mount Yotei
Bereits letztes Jahr konnten wir uns von dem gehypten Japow überzeugen und wir wurden nicht enttäuscht. So war es nur logisch, dem Land der untergehenden Sonne auch heuer wieder einen Besuch abzustatten. Schuld für die Massen an Schnee ist die kalte sibirische Luft, die über das vergleichsweise warme Japanische Meer strömt und Wolkenbänder generiert, die über den Bergen im nördlichen Hokkaido Schnee fallen lassen. Der berühmte Lake- Effekt also. So kommen pro Saison schon gerne mal 20-30 Meter an Neuschnee zusammen.
Obwohl der Winter in den heimischen Alpen ganz gut angefangen hat, zog es uns ins Land der endlosen Schneefälle, Onsen und Sushi, so frisch, dass es fast noch zappelt. Ein paar WhatsApp-Nachrichten später stand der Trip und das Team damit auch schon fest. Anfang Februar war es also so weit und wir flogen von München Richtung Tokio, weiter ging es mit einem Inlandsflug Richtung Hokkaido.
Als Homebase für die Powdersuche wählten wir Kutchan aus, ein kleines Städtchen westlich von Sapporo und mit 16.000 Einwohnern gerade groß genug, um eine demensprechende Infrastruktur zu haben.
Brennende Wadeln, whiteout, eiskalte Gliedmaße, so startete unser erster Tag. Und trotz dieser „Höllenqualen“ hatten wir die meiste Zeit ein breites Grinsen in unseren Gesichtern. Back on Track – „Big in Japan“, es fühlte sich gut an, wieder in das weiße Gold eintauchen zu können und Schwung für Schwung zu genießen. In den umliegenden Gebieten - Niseko, Kiroro oder Rusutsu fanden wir immer das was wir suchten: frischen unberührten Powder. Die Akkus wurden standesgemäß bei Sake und frischen Fischgerichten aufgeladen und so Kräfte für den neuen Tag gesammelt.
Die Einheimischen vermitteln einem ein Wohlfühlgefühl der besonderen Art. Mit ihrer Gelassenheit und Höflichkeit üben sie eine fast therapeutische Wirkung auf den (künstlich gestressten) Durchschnittsmitteleuropäer aus. „Pension“, das muss in Japan ein Fremdwort sein. Denn die meisten rüstigen Damen und Herren stehen noch voll im Arbeitsalltag und das mit Überzeugung und Freude an der Arbeit. Einfach beneidenswert!
Nach dem obligatorischen Onsenbesuch und einem Blick in den Forecast wich doch die Euphorie etwas der Ernüchterung: anstelle des täglichen Niederschlags war Sonne und gutes Wetter für den nächsten Tag angekündigt... strange – aber auch die Chance, einen Trip der besonderen Art zu unternehmen. Yotei – der riesige Pyramidenförmige Berg der immer in Sichtweite von uns war, aber immer im dicken Nebel steckte und so nie seine wahre Größe zeigte. Bereits bei unserem letzten Besuch konnten wir nur erahnen, wie er wohl in voller Pracht aussehen würde. Damals wurde Japan seinem Ruf gerecht und es schneite unentwegt. Somit war klar, der Mount Yotei stand als morgiges Ziel fest. Ein inaktiver Vulkan im Südwesten der Insel, der mit einer Höhe von 1898m alles bis zum Horizont um Weiten überragt.
Mit gerade mal hundert Befahrungen pro Winter und einer zwanzig prozentigen Chance den Gipfel zu erreichen, ein seltenes und exklusives Unterfangen. Mit etwas Wetterglück und richtigem Timing sollte das Unterfangen doch möglich sein, dachten wir. Zeitgleich mit den ersten Sonnenstrahlen standen wir bereits in Niseko und staunten nicht schlecht über den unwirklich anmutenden Riesen inmitten der flachen Landschaft. Die Pyramide mit schneebedecktem Flachdach zeigte sich bei bestem Wetter, jedoch waren die Schneefahnen am Gipfel gut zu erkennen, womit klar war, dass es kein Zuckerschlecken werden sollte.
Die Felle wurden aufgezogen, Reissnacks und der Flachmann eingepackt, nächster Stopp - Gipfel. Am „half moon lake“ vorbei ging es durch ein kleines Wäldchen leicht bergauf - easy! Das kupierte Gelände wurde immer steiler und bald darauf ließen wir den Wald hinter uns. Keine fresh Tracks mehr, sondern ein windgepresster Schneedeckel ging uns so richtig auf die Nüsse und verlangte unseren Skitouren skills alles ab. Unser Splitboarder fackelte nicht lange und wechselte vom Brett auf Bootpacken. Gut die Hälfte hatten wir hinter uns, als von einer Minute auf die andere ein kräftiges Whiteout aufzog.
Mit dem Nebel rasselten auch die Temperaturen in den Keller und wir legten eine Zwangspause ein, um Daunen- und Windjacke zu adjustieren. Zeitglich trafen wir auf zwei Amis, die bereits die Fahnen gestrichen hatten und uns beim Abfahren noch „see ya at the onsen, dudes“ zuriefen. Nach ein paar Minuten war der Spuk auch schon wieder vorbei und die Sonne konnte sich wieder ihren Platz am Himmel erkämpfen. Durch Schnee gefüllte Rinnen ging es wieder Richtung Gipfel, die verschneite Botanik erinnerte eher an eine Mondoder Marslandschaft als ein irdisches Szenario. Doch so leicht war der Yotei nicht zu haben, gut hundert Meter vor dem erahnten Gipfel schlug das Wetter wieder um und der Berg zeigte uns seine kalte Schulter. Schnee und ein eiskalter Wind pfiffen uns um die Ohren. Inmitten der kalten Nebelsuppe trafen wir auf eine Gruppe Eidgenossen, die bereits schon länger mit den Widrigkeiten zu kämpfen hatten. Sie stärkten sich bei ein paar Scheiben Bündnerfleisch und beschlossen anschließend abzufahren. Auch bei uns kamen die ersten Zweifel auf, doch wir waren nicht so weit gekommen, um so knapp vor dem Gipfel aufzugeben. Mit unseren Schaufeln gruben wir uns eine kleine Schneehöhle, um so, so gut es ging, gegen den Sturm geschützt zu sein. Bei ein paar leckeren Lachs-Reis Häppchen und selbstgemachtem Zirbenschnaps trotzen wir dem Sturm und tanken neue Kräfte. Einstimmig wurde beschlossen, wir sitzen es aus... solange Schnaps da war. Der Yotei hatte dann doch noch Erbarmen mit uns. Der Nebel sank immer weiter Richtung Tal und die ersten Umrisse des Vulkans wurden sichtbar. Stille... der mit frischem Schnee gefüllte Krater ließ uns sprachlos werden... was selten der Fall ist. Über den zuckerwatteartigen, aber steinharten Kraterrand, liefen wir zu unseren Drop-Ins, die vorher sorgfältig gespotet wurden. 3-2-1 drop-in! Die anfänglich zögerlichen Schwünge wichen fetten Powerturns mit Sprüngen über verschneite Kraterfelsen. Mit einem Ausbruch voller Freude und high fives wurden wieder die Felle aufgezogen und zum zweiten Run angesetzt. So verging der Nachmittag wie im Fluge und ein Highlight jagte das andere. Die Sonne verabschiedete sich langsam am Horizont und der Krater tauchte in gelbrötliches Licht, was nur sehr schwer in Worte zu fassen oder auf Bildern festzuhalten ist. Wieder auf dem Kraterrand angekommen, wurde die 1500m Abfahrt ins Tal in Angriff genommen. Die gefüllten Schneerinnen und der einsetzende Sunset versetzten uns in wahre Japow- Extase. Der Tag wich immer mehr der Nacht und der Weg durch den Wald immer mehr zur Irrfahrt. Stirnlampen: Fehlanzeige. Lediglich die Handys brachten etwas Licht in die dunkle Angelegenheit. Die gegenüberliegende Flutlichtanlage des Nachtskigebiet Niseko erwies sich als die erhoffte Rettung und so orientierten wir uns an den Lichtern des Skigebietes.
Bei bestem Sapporo Hopfensaft wurde noch lange über den Tag philosophiert und die Erinnerungen in Worte verpackt. Ich meine, privilegiert wäre das passende Adjektiv für eine Vulkanbesteigung mit Kraterabfahrt.
Sicherlich nicht auf jeder Bucketlist eines Freeriders, und sicherlich auch nicht immer durchführbar, aber immer einen Versuch wert und wenn es dann wirklich klappt, ein ganz besonderes Erlebnis. So hatte uns das zwischenzeitliche Gut-Wetter-Hoch doch noch Freude bereitet und es bewies sich wieder einmal, dass Durchhaltevermögen auch belohnt wird.
Arigatou!!!!