BAKHMARO - Catskiing
Text: Ralf Jirgens | Fotos: Rainer Frömmel & Hanna Finkel
Abenteuer im kleinen Kaukasus
Bevor ich angefangen habe diesen Artikel zu schreiben, habe ich mir noch mal meine Mail an Ingo durchgelesen, die ich ihm ein paar Tage nach unserer Heimreise geschrieben hatte. Denn vieles, was wir bei der „Set Up Week“ in Bakhmaro erlebt haben, ist schon durch die rosa Brille verklärt bzw. durch den massiven Powderrausch getrübt. Mittlerweile ist ja auch viel über das neue Skigebiet in Georgien geschrieben und erzählt worden. Alle sind natürlich hellauf begeistert, was sogar so weit führte, dass unser Fotograph Rainer einigen Spott über sich ergehen lassen musste, als er seine Erlebnisse im kleinen Kaukasus in seinem Blog veröffentlichte. Und um das mal vorwegzunehmen: Auch wir hatten Spaß, den wohl besten Schnee der vergangenen Saison und wir sind die Firstlines gefahren, ABER:
Als ich am Freitagmorgen, es ist die Woche vor Weihnachten 2016, noch kurz ins Büro gehe, höre ich schon beim Aufsperren der Tür das Telefon läuten. Kurz vor acht, wer ruft denn schon so früh an? Es ist Ruedi, von der Schweizer Reisegruppe, die mit dem gleichen Ziel schon am Vorabend aufgebrochen ist. Verzweifelt fragt er nach dem Kontakt von Ingo. Er könne niemanden erreichen, sie seien nicht wie vereinbart am Flughafen abgeholt worden und in Georgien herrsche das völlige Schneechaos. Ich klemme mich sofort ans Telefon schreibe Mails und Nachrichten, bekomme aber auch keine Antwort. Der letzte Eintrag auf Facebook ist auch schon einige Tage alt, was zu heißen Diskussionen in unserer Reisegruppe führt: Sollen wir zum Flughafen fahren? Sollen wir auf gut Glück am späten Nachmittag losfliegen? Die letzte Mail von Ingo kam ja auch schon vor ein paar Wochen! Wer ist Ingo überhaupt? Kann man jemand trauen, der einem auf der Alpin Messe in Innsbruck erzählt, er eröffne dieses Jahr ein neues Skigebiet in Georgien? Mit diesen Gedanken und Diskussionen fahren wir schließlich nach Memmingen, wo uns kurz vor der Autobahnausfahrt die erlösende Nachricht erreicht: „Alles gut. Schneechaos! Telefonnetz ausgefallen. Shuttle kommt“. Sofort setzt wieder der „Powderrausch“ ein. Wir reden nur noch über meterweise Neuschnee und nicht mehr über das ausgefallene Handynetz, nutzen im vierstündigen Flug nach Kutaissi ordentlich das „zahl zwei, krieg drei Bier“-Angebot unserer Ungarischen Airline und schauen deshalb ziemlich blöd aus der Wäsche, als der Pilot, nach mehrmaligen Landeanflügen und Schleifen, Richtung Tiflis weiterfliegt.
Zum Glück hat dort der Burger King noch offen und zum Glück konnte uns die nette Dame vom Serviceschalter einen Bus zurück nach Kutaissi organisieren. Pech war, dass sich der Fahrer zuerst weigerte, das ganze Gepäck mitzunehmen und der Bus keine Heizung hatte. Das ganze bei gut 10 Grad unter Null und mittlerweile 3 Uhr nachts Ortszeit. Nach fünf Stunden Fahrt durch das tief verschneite Georgien biegt unser Bus direkt von der Autobahn in einen Feldweg ab, ruckelt ein paar hundert Meter durch diverse Schlaglöcher und kommt vor einem verlassenen Hotel
zum Stehen. Dort werden wir von Levan und Davit herzlichst begrüßt, das Gepäck vom Bus auf die Dächer von zwei Jeeps verladen und mit besseren Wäscheleinen „gesichert“. Levan hat einige Jahre in Frankfurt gearbeitet, spricht Deutsch und kann in unseren Gesichtern lesen, was wir jetzt am dringendsten brauchen: Ein Frühstück und heißen Kaffee! Das ist dann auch unser erster Kontakt mit georgischem Essen: süß, mächtig und nach dieser Nacht jetzt genau das Richtige! Dann geht es erst mal zu diversen Geschäften. Vollgepackt bis unters Dach mit Getränken, Brot, Diesel und Mehl brechen wir schließlich aus der kolchischen Tiefebene Richtung Berge auf. Nächster Stopp soll eine Fischzucht in der Nähe von Chokhatauri sein oder der Ort oder irgendwo dazwischen, wo wir von den Jeeps zum „Radrak“ wechseln. Aber sicher sei er sich auch nicht, da ja Ingo oben in Bakhmaro, dass dann noch mal 25km weiter im Gebirge liegt, nicht zu erreichen sei. Die Schneeflanken am Rande der Straße werden höher, die Häuser weniger und irgendwie stellt sich bei uns das Gefühl ein, dass es keinen wirklichen Plan für die weitere Anreise gibt, die schließlich für beide Jeeps – natürlich ohne Ketten, denn das verbietet die georgische Nationalehre – irgendwo im Nichts auf einer verschneiten Bergstraße in einem Schneehaufen endet. Lawinenschaufel raus, Autos freischaufeln, wenden und zurück zu den letzten Häusern, die sich als die besagte Fischzucht herausstellen
Der „Aufenthaltsraum“ ist ein Bretterverschlag mit einem Holzofen und notdürftigen Sitzgelegenheiten. Der kleine Ofen und der großzügig eingeschenkte Cognac erwärmen der Raum zumindest in Plusgrade. Was weiterhin fehlt, ist der Kontakt nach Bakhmaro und ein Plan für die letzten 25km. ‚Wir warten auf den Radrak', ist die lapidare Antwort. Ist der unterwegs? Wo ist er? Kommt der heute noch und wenn nicht, wo schlafen wir? sind Fragen die unsere georgischen Begleiter nun nicht mehr zu interessieren scheinen. Jetzt wird erst mal gewartet, was für die Mitarbeiter der Fischzucht, die sich über jeden Besuch freuen und unsere Guides völlig in Ordnung zu sein scheint. Für unsere deutsche Reisegruppe aber, die jetzt schon seit mehr als 24 Stunden unterwegs ist, ist dies keine Option. Besonders der Ausblick auf eine sehr kalte Nacht in einer sehr zugigen Hütte irgendwo in einem georgischen Bergtal ist auch mit der Menge an Chacha, dem traditionellen Georgischen Tresterbrand den uns die Mitarbeiter großzügig anbieten, nicht sehr verlockend. Das scheint auch Davit, der sich mittlerweile als Bürgermeister von Bakhmaro entpuppt hat und von da auch bei uns nur noch so heißt, einzusehen und quartiert die ganze Gruppe kurzerhand bei einem bekannten älteren Ehepaar in der nächsten Umgebung ein. Der Enkel der beiden flitzt kurz darauf mit Helm, Brille und LVS Gerät durchs Haus und hat einen riesen Spaß dabei. Die Kommunikation beschränkt sich auf Gesten und der Fernseher läuft die ganze Zeit mit skurrilem Programm und in aberwitziger Lautstärke. Kurz vorm Abendessen taucht Dobo auf, der uns zusammen mit Aslan, dem Fahrer der Pistenraupe, abholen soll. Sie seien den ganzen Tag unterwegs gewesen, es sei so viel Schnee und so wenig Sicht, dass sie für die 25km ganze 16 Stunden gebraucht hätten. Ein sofortiger Aufbruch mache keinen Sinn, vielmehr sei es jetzt an der Zeit die gute georgische Tradition der Trinksprüche kennenzulernen.
Als Dobo am nächsten Morgen vor dem Berg an Gepäck steht, scheint auch er etwas Kopfschmerzen zu haben, aber mit den erfahrenen Gepäcksicherungskünstlern Davit und Levan sind Ski, Gepäck und Passagiere irgendwann auch auf der Pistenraupe verteilt. Verteilt trifft es dabei ziemlich genau: Mangels einer Kabine – die noch im Zoll feststecke – müssen vier Personen in die Fahrerkabine und der Rest hinten auf die Raupe. Bei minus 16 Grad gibt es nur zwei Möglichkeiten: stehend frieren oder sitzend Dieselabgase einatmen. Dem einzigen, dem die Kälte nichts anzuhaben scheint, ist der Bürgermeister, der entweder telefoniert oder raucht. Und das geschlagene 6 Stunden, die wir für die Auffahrt brauchen.
Bakhmaro selbst liegt auf rund 2000 Höhenmeter und ist im Sommer ein beliebter Ferienort in dem viele Familien eine Hütte haben. Im Winter wird der ganze Ort wegen der Kälte und der Schneemassen evakuiert. Und genauso empfängt uns Bakhmaro: tiefstverschneit wie aus einem Winter-Wonderland-Album. Es liegt so viel Schnee, dass Aslan jedes Mal bremst, wenn wir eine Stromleitung, die sich wild von Haus zu Haus spannen, passieren müssen und wir die Leitung per Hand über unsere Köpfe und die Raupe hieven. Wir bestaunen die Berg und Hänge ringsum und haben sofort wieder die rosa Powder-Brille auf. Die wird uns aber schnell wieder runtergerissen, als wir, nach 56 Stunden Anreise, endlich vor unsere Unterkunft halt machen und uns Ingo freudestrahlend empfängt. Vom angekündigten Strom, warm Wasser, Duschen und WLAN ist nicht mehr die Rede. Der Sturm sei auch so heftig gewesen, dass der Mobilfunkmast ausgefallen sei und er deshalb auch nicht erreichbar gewesen ist, aber jetzt sei ja alles Gut, wir alle wohl behalten angekommen und es stünden ein paar schönen Skitagen nichts mehr im Weg. Ich mache mir langsam ernste Gedanken um unsere Sicherheit. Und das noch nicht mal wegen dem morgigen Skifahren. Kein Satellitentelefon, keine Funkgeräte, keine Kommunikation mit dem Fahrer, kein Plan im Falle eines Unfalles und eine Rettungskette, die mit einer sechsstündigen Pistenraupenfahrt beginnt. Als wir diese Punkte mehr oder weniger gesittet mit Ingo diskutieren greift Dobo sich den Schlüssel eines der Snowcats, mummt sich ein und verschwindet mit den Worten, ‚er werde mal den Generator der Mobilfunkmasten checken‘, in die georgische Nacht. Zwei Stunden später haben wir alle Handyempfang und Dobo einen neuen Spitznamen: Der georgische McGyver!
Nach einer kalten Nacht, in der wir Schichtdienst am Feuer schieben und einem herzhaften Frühstück ist es endlich so weit: Wir klettern auf die Pistenraupe und lassen uns auf einen der Berge über Bakhmaro shutteln. Beim Absteigen zeigt sich, dass es keine gute Idee ist, ohne angeschnallte Ski in den Powder zu steigen oder von der Pistenraupe direkt reinzuspringen: groundless!!!
Nach einem Gruppenbild für den Bürgermeister wagen wir die ersten Abfahrten. Wie kleine Kinder, die zum ersten Mal Schnee sehen, tollen wir durch den Wald. Der Schnee ist so tief und so pulvrig, die Möglichkeiten so grenzenlos. Immer und immer wieder fährt uns Aslan ein paar hundert Meter weiter den Grad entlang, so dass wir Firstline an Firstline reihen können. Als wir abends zurück zu unseren Häusern kommen hat sich dort auch viel getan: Ingo hat einen der Köche als „Feuerwart“ abgestellt, ein kleiner Generator liefert Strom und das Bier und der Chacha wartet auch schon auf uns. So schnell und so leicht sind Schneesüchtige wie wir zufrieden zu stellen.
Am nächsten Tag greifen wir uns die beiden Snowcats, weil Ingo mit der Raupe ins Tal zum Einkaufen muss. Das erhöht die Schlagzahl und macht noch mal mehr Spaß. Leider schaffen es die zwei Motorschlitten mit uns hinten dran nur in den Spuren der Pistenraupe, was bei so viel Gelände und mittlerweile ein paar angelegten Tracks aber keinen stört. Auch Ingo und sein Team, das mittlerweile aus gefühlten 10 Personen besteht, haben mächtig Gas gegeben und tischen beim Abendessen und Frühstück immer mehr georgische Leckereien auf. Nur unseren Fotographen hat es böse erwischt, scheinbar verträgt sein Magen den Chacha nicht und an Kohletabletten hat natürlich auch niemand gedacht. Eine Situation, die sich bei Raumtemperaturen von minus 15 Grad in den Toiletten, bei denen man das Spülwasser im großen Topf direkt vom Ofen im ersten Stock mitbringen muss und dieses dann sofort an der Keramik anfriert, eine denkbar ungute ist.
Am nächsten Tag wollen wir einen der höheren Berge befahren. Aslan mutet seiner Kässbohrer alles ab, muss aber immer wieder vor den Schneebergen kapitulieren und sich im Zick Zack die Hänge hocharbeiten, was irgendwann einfach keinen Sinn mehr macht. Wir ziehen die Felle auf und können schon nach eine guten halbe Stunde einen Rundumblick vom allerfeinsten genießen. Im Westen das Schwarze Meer, im Osten der große Kaukasus im Süden die Türkei und nach Norden die Tiefebene. Und vor uns unberührte Hänge, weite Flächen, offener Wald – Skiers Paradies!!! Jetzt heißt es die Gruppendynamik und Euphorie zu bremsen, schließlich sind wir immer noch weit ab jeglicher Zivilisation. Wir beschließen, eine relativ konservative Line über die freien Flächen zu nehmen und im Wald in Paaren zu fahren. Was dem Spaß aber in keiner Weise abträglich ist. Der Schnee staubt, die Sonne strahlt und das Gefühl, dass vor uns noch kein Skifahrer auf diesen Hängen unterwegs war ist unglaublich. Als wir mit den Ski direkt an der Hütte ankommen empfangen uns unsere georgischen Gastgeber mit einem Open Air Mittagessen, klatschen jeden Einzelnen ab und fotographieren wie wild unsere Spuren im Schnee. Jetzt kann sich auch Ingo nicht mehr zurückhalten und begleitet uns auf dem nächsten Run. Die Stimmung ist super und wir verleihen seiner Unterkunft das Prädikat „Ski in and Ski out“.
Als wir am nächsten Morgen wieder auf die Pistenraupe klettern wehtleider schon der Abschiedsschmerz um die beiden Hütten. Nach reichlich Kartenstudium haben wir uns aber ein Highlight für unsere letzte Abfahrt ausgesucht: Aslan soll und zum Ausgangspunkt fahren, von dort nehmen wir ein neue Route Richtung Verbindungsstraße, wo wir auf Dobo treffen, der uns mit dem Motorschlitten den langen Gegenanstieg hochzieht und uns so die Abfahrt bis nach Chkhakoura möglich macht. Mittlerweile ist die Verständigung und Organisation so gut, dass unser Plan minutiös aufgeht und uns noch eine weitere Wahnsinns Abfahrt beschert. Als wir nach zwei Stunden Abfahrt in dem kleinen Bergdorf aus den Ski steigen, sind wir eine Attraktion. Die Dorfbewohner, die auch im Winter in Ihren Häusern bleiben, kommen alle zusammen, schütteln aber nur ungläubig die Köpfe: einen so bunten, aufgedrehten Haufen der sich gegenseitig in die Arme fällt haben sie sicher noch nicht gesehen.
Als wir am nächsten Tag im Flugzeug zurück sitzen, sind wir hin und weg von Georgien. Von den Eindrücken, der Gastfreundschaft, dem Schnee und Ingos Vision. Aber wir sind auch sehr glücklich, dass alles gut ging, dass wir dieses Abenteuer erleben durften, aber auch, dass wir es wohlbehalten überstanden haben.
INFO BOX
Bakhmaro liegt in Georgien im kleinen Kaukasus, im Talkessel des Oberlaufs des Flusses Bachwiszkali. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde das auf knapp 2.000 Metern liegende Dorf als Höhenkurort ausgebaut. Bestimmend für das Klima im Talkessel ist das schwarze Meer, das man auf den Gipfeln rund um Bakhmaro stehend auch sehen kann. Speziell im Juli und August sind die Holzbungalows der Ortschaft von Urlaubern bewohnt, im Winter ist Bakhmaro jedoch verlassen: Das nahe Meer bringt Meter an Pulverschnee…
Nach Bakhmaro zum Freeriden führt momentan nur ein Weg: www.powderproject.ch. Ingo und sein Team aus Locals organisieren den Transport vom Flughafen ins Dorf, heizen die Lodges und bekochen die hungrigen Freerider, fahren die Pistenraupen und die Cats und machen auch sonst alles, was an Arbeit anfällt.
ANREISE- Mit dem Flugzeug Memmingen – Kutaissi ab ca. 100 Euro (Dauer ca. 4 Stunden, Zeitverschiebung + 2 Stunden)
- Die weitere Anreise erfolgt mit Auto bzw. Pistenraupe; die Dauer hängt von den Schneeverhältnissen ab.