Trails & Whisky
Das Mondlicht spiegelt sich hell auf der nassen Straße wider, wenn die schnell dahinziehenden Wolken den klaren Himmel entblößen. Mit überhöhter Geschwindigkeit rast ein silberner Oldtimer auf den engen, von hohen kahlen Bergen umgebenen Straßen Richtung Norden. Ein paar Schafe stehen teilnahmslos in der feuchten, morastigen Wiese und trotzen dem Wetter und der Kälte. Am Horizont erkennt man die Umrisse einer Mauer, die ein Einfaches, aus Stein errichtetes Haus umgibt. In einem Fenster brennt Licht, was dieser rauen Stein- und Graslandschaft einen Hauch an Behaglichkeit gibt. So oder so ähnlich stellen sich die meisten Menschen Schottland vor.
Geprägt durch viele Kinofilme des schottischen Action-Helden mit dem Aston Martin oder durch den langhaarigen Schwertkämpfer Connor MacLeod. Rau, nass und kalt sind die Adjektive, die einem immer wieder beim Namen Schottland in den Sinn kommen. Doch das nördlichste Land des Vereinigten Königreichs hat so viel mehr zu bieten. Die größten Exportschlager der Schotten sind zum einen der hochprozentige Whisky, der nur durch diese besondere Natur seinen ganz eigenen Geschmack entfaltet und zum anderen Mountainbike Trails, die durch die topografischen und natürlichen Beschaffenheiten einen ganz speziellen Charakter haben und mittlerweile in Deutschland und ganz Europa viele Nachahmer finden. So unterschiedlich, wie sich das Land von Ost nach West, von der Spyside mit den grünen Grashügeln über die Highlands mit hohen Bergen und tiefen Tälern bis hin zu den rauen und windigen Hebriden entwickelt, so unterschiedlich ist auch der Whisky. Je weiter man nach Westen kommt, umso stärker und vor allem rauchiger wird das „Wasser des Lebens“, wie er auch genannt wird. Als unser Fotograf Philip und ich unsere Bikes im Glenlivet Trail Center, südöstlich von Inverness, auf die Trails fuhren, waren wir etwas überrascht. Aus vielen verschiedenen Quellen hatten wir gehört, dass Trails so weit oben in Schottland schlammig und technisch sehr anspruchsvoll seien. Doch davon war hier weit und breit noch keine Spur.
In flowigen Kurven, spaßigen Downhills und leichten Anstiegen bewegten wir unsere Bikes durch das Trail Center. Aufgrund aller Informationen und Voraussagen hatten wir extra unsere Bikes mit Schlammreifen und Mud Guard mitgebracht, um bestens gerüstet zu sein. Aber hier, so weit östlich, war noch nichts von unbefahrbaren Trailabschnitten und metertiefen Schlammpfützen zu sehen. Also machten wir uns auf den Weg Richtung Westen und fuhren längs des Loch Ness immer weiter in Richtung der hohen Berge der Highlands. Wir durchquerten atemberaubende Landschaften immer mit einem Ziel vor Augen: Torridon.
Das kleine Dörfchen, mitten in den Highlands gelegen und umringt von hohen Bergen, besteht aus einem Hotel, einer Wildlife-Information, einem kleinen Pub und ein paar Häusern. Nichts was einen Touristen unbedingt hierherführen würde. Doch in den Bergen, oberhalb des Torridon Hotels, befindet sich der Torridon Circuit, ein 28 Meilen langer Trail, der vor einigen Jahren als „Trail of the Year“ im ganzen vereinigten Königreich ausgerufen wurde.
Schon als wir von der Straße, die das Gebiet durchquert, ins Gelände abbogen war klar: Hier ist eine ganz andere Art von Trail angesagt. Der schmale Pfad verläuft zuerst im moderaten Anstieg immer leicht oberhalb eines aus den Bergen kommenden Flusses. Links und rechts erheben sich majestätische Gipfel und obwohl wir bei strahlendem Sonnenschein unterwegs waren, waren wir im Handumdrehen durchnässt und uns lief das Wasser aus den Schuhen. Sind wir von Deutschland gewöhnt, dass Wasser meist von oben kommt, scheint hier das erfrischende Nass entgegen der Schwerkraft zu arbeiten und von unten nach oben zu fallen.
Immer wieder wirbelten unsere Reifen Wasser auf, das auf dem Weg herunterlief, und spritzten es uns gegen Beine, Gesäß und Rücken. Nach einiger Zeit erreichten wir eine Hochebene mit einem kleinen See. Der Trail verlief immer einige Meter über dem Ufer des braunen Wassers und wir mussten einige Pfützen durchqueren. Auf einmal gab es einen Aufschrei von Fotograf Philip, der einige Meter vorausgefahren war. Als ich zu ihm aufschloss, sah ich, dass sein gesamtes Vorderrad in einem Schlammloch steckte. Irgendwie aber hatte er sich noch davor bewahren können, mit seinem ganzen Körper inklusive Rucksack nach vorne in die Pfütze zu kippen. Doch egal wie fest er am Lenker zerrte und zog, alleine würde er das Bike wohl nicht aus dem Matschloch bekommen ohne selbst komplett einzusinken. Nur mit vereinten Kräften bekamen wir sein Rad wieder frei und die Fahrt konnte weitergehen. Das waren also diese metertiefen Pfützen, vor denen wir gewarnt worden waren und vor denen wir uns in Acht nehmen sollten! Nach einem grandiosen Downhill zurück nach Torridon war klar, dass dieser Trail nicht zu vergleichen war mit dem Trail Center im Osten. Wer hierher fährt, sollte schon etwas härter unterwegs sein und keine Angst vor nassen Füßen haben.
Wir fragten uns, ob die Whisky-Regel bezüglich Intensität und Rauch wohl auch auf die schottischen Trails anzuwenden sei. Sollte das zutreffen, dann dürfte uns auf den Inseln eine ziemliche Überraschung erwarten… Als wir die Skye Bridge über das Loch Alsh überquerten, prasselten schon die ersten Tropfen Regen gegen die Scheibe. Je weiter wir die Straße Richtung Portree fuhren, um so zerklüfteter wurde die Landschaft. Hier ragten schroffe Felsformationen in den Himmel, dort endete das Land und fiel senkrecht bis ins Meer hinab. Mitten in der grauen Felswüste, gleich hinter einer steinernen Brücke, über die sicher schon die Kutschen zur Zeit des Empires gefahren waren, steht einzeln das Sligachan Hotel. Von hier aus sollte uns unser Trail zwischen zwei bedrohlich wirkenden Bergen bis hin zur westlichen Küste der Insel führen.
Schon als wir die Türe öffneten, um die Bikes auszuladen, schlug uns ein harter kalter Wind entgegen und die Regentropfen platzten auf unserer Kleidung wie kleine Wasserbomben auf einem Kindergeburtstag. Bei so einem Wetter würde man sonst keinen Hund vor die Türe setzen, doch was bitte hatten wir erwartet, bei einem Trip auf die inneren Hebriden?
Nach einigen Kilometern querte ein Fluss den Trail und hier waren wir uns nicht mehr so sicher, ob Fahren wirklich eine gute Idee war. Also schulterten wir unsere Räder und wateten durch das knietiefe, eiskalte Wasser. Wie bitte kann man bei so einem Wetter von Sommer reden?
Nach gefühlten 20 Flussdurchquerungen, 13 Kilo Schlamm am Rad und einem halben Schwimmbad in den Schuhen erreichten wir die Westküste der Insel und somit auch das Ende unserer Reise. Nur wenige hundert Meter von hier erstreckt sich das Gebäude der Talisker Distillery, der ältesten und wohl berühmtesten Distillery auf der Isle of Skye.
Nach einem solchen Biketag konnten wir uns wahrlich nichts Schöneres vorstellen, als den Abend mit einem Glas Whisky ausklingen zu lassen. Und noch während der starke und rauchige Whisky in meinem Mund seinen vollen Geschmack entfaltete wurde mir klar: Ja, man kann wirklich vom Whisky auf die Trails schließen! Wer hier auf den Inseln unterwegs ist, der darf weder bei den Trails noch beim Wetter zimperlich sein – und beim Whisky schon gar nicht.