bergstolz

Schmugglerpfade im Montafon


montafon-strong-wind-before-DrusentorAufgewachsen bin ich in den österreichischen Bergen, gerade mal drei Kilometer entfernt von der Schweizer Grenze. Die Geschichten und Erlebnisse meiner Großeltern haben mich immer wieder bei meinen Trips inspiriert und begleitet. Während des Zweiten Weltkriegs war es fast unmöglich in Österreich an Schokolade, Bananen oder Tabak zu kommen, in der Schweiz war dies völlig anders. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich zu dieser Zeit ein reger Schmugglerhandel ausgebreitet hat. Die Gewinnmargen waren sehr hoch, jedoch das Risiko gefasst zu werden und die damit zusammenhängenden Konsequenzen waren wahrscheinlich noch höher. Wer von den Nazis erwischt worden war, von dem wurde meist nichts mehr gehört.

Während der letzten Jahre hat eine Idee Form angenommen: Warum nicht mit den Skiern den alten Schmugglerpfaden folgen? Als ich Daniel und Dominik davon erzählte, dauerte es nicht lange, bis wir unsere Sachen zusammenpackten und im Zug nach Schruns im Montafon saßen. Meine Großmutter hat mich schon immer nach Schruns zum Skifahren mitgenommen. Selbst Hemingway, der seinen ersten Bestseller “Fiesta” hier verfasst hat, liebte das Örtchen im Herzen des Montafons. Über das Montafonerbähnle ist Schruns mit Bludenz und somit mit den Hauptverbindungen der ÖBB verbunden. Wir nahmen uns vor, nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu reisen. Skilifte waren natürlich auch herzlichst willkommen, kombiniert mit unserer eigenen Muskelkraft mittels Fellen und Tourenski. Aber selbstverständlich stand das Freeriden von unvergesslichen Lines im Vordergrund! Das Besondere an diesem Trip war, dass wir – wenn alles klappt – an den gleichen Ort zurückkommen, an dem wir gestartet sind.

montafon powder

Day 1: Angekommen am Bahnhof in Schruns sind es nur wenige Gehminuten bis zur Talstation der Silvretta-Montafon HochJoch Bahnen. Unser Plan ist es vom Skigebiet HochJoch zur Silvretta-Montafon Nova und dann nach Gargellen via Back Country Runs, Hikes und einer kleinen Busfahrt zu wechseln. Nach einer gemütlichen Übernachtung in Gargellen steigen wir mit den Fellen zum Gafierjöchle, der Schweizer Grenze, auf. Nach einer Nacht in Partnun geht’s über das Drusentor und einer langen Abfahrt zurück nach Schruns. Der Blick Richtung Rätikon vom Skigebiet HochJoch ist atemberaubend. Man sieht die Drei Türme, Drusenfluh, Zimba und viele weitere traumhafte Berggipfel. Nach einigen schönen Powder Runs will ich noch etwas mehr Challenge. Ich habe ein Cliff direkt neben dem Sennigrat-Skilift schon länger im Auge. Es hat eine stattliche Größe, und die Landing Zone ist sehr klein – also schon ewas tricky. Direkt vom Skilift aus, habe ich es nochmals im Detail inspiziert. Ich fühle mich gut und sage mir: give it a go. Zwei turns, der mitfließende Slush beschleunigt mich noch etwas – und drop it! Ziemlich sicher haben wohl die Schmuggler eine andere Route genommen, aber ich hätte mir keine bessere vorstellen können! Da wir heute noch bis nach Gargellen möchten, sollten wir langsam schauen, dass wir weiterkommen. So steigen wir in circa 35 Minuten zur Zamangspitze auf. Ich liebe das Gefühl nach einem Schneefall die erste Spur auf einen Gipfel zu ziehen. Heute ist wieder einer dieser Tage, und wir haben das Privileg unsere Spuren hier zu hinterlassen. Als ich nach hinten blicke, kann ich die frisch verschneiten Montafoner Gipfel und Dominiks Schweißperlen sehen. Aber kein Wunder, Dominik schleppt noch zusätzlich das ganze Fotoequipment. Für alle, die unseren Spuren folgen möchten: Bitte beachtet, dass eine solche Tour eine dementsprechende Vorbereitung und Erfahrung in der Beurteilung der Lawinengefahr bedarf. Beispielsweise ist die Abfahrt von der Zamangspitze Richtung St. Gallenkirch südlich exponiert. Gerade gegen Ende der Saison sollte man checken, ob noch genügend Schnee vorhanden ist und bis spätestens zur Mittagszeit bereits in St. Gallenkirch angekommen sein. Der Blick von der Zamangspitze reicht bis ins Tal. So kann man sich leichter orientieren. Anfangs halten wir uns Richtung Südost und entdecken ein nettes Spielgelände mit kleinen Drops und Spines. Kurz danach bei den Lawinenverbauungen wird die ganze Sache recht steil. Wie wir feststellen, ist dieser Lawinenschutz durchaus nötig, da schon einige kleinere Lawinen links und rechts von uns herunterschießen. Nichts ernstes, jedoch groß genug, um Daniel kurzzeitig aus dem Gleichgewicht und fast zu Sturz zu bringen…und ein guter Reminder für uns, um aufzupassen. Beginnend von der Zamangalpe folgen wir der Forststraße bis nach St. Gallenkirch. Von dort steigen wir in die Gondel der Silvretta Montafon Nova Bergbahnen. Von der Bergstation gibt es einen 850 Höhenmeter langen Ride, der bei guten Bedingungen jedes Freeriderherz höher schlagen lässt. Das Gelände bietet sich für big mountain turns, speed lines und lange Sprünge über langgezogene Kuppen an. Für Daniel und mich die perfekte Spielwiese, um zu sehen, wer die weiteren Sprünge schafft. Da hat der Snowboarder im Kampf gegen den Skier keine Chance! Als wir unten angekommen sind, steigen wir in den Bus nach Gargellen. Da die Busse meist nur stündlich fahren, lohnt es sich, vorab einen Blick in den Busplan zu werfen. Gargellen ist noch ein malerisches Bergdörfchen und auch, wenn man keine Schmugglerambitionen hat, immer eine Reise wert. Vor allem die ersten Sonnenstunden nach einem längeren Schneefall sind unvergesslich in diesem charmanten Ort.

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Day 2: Um die guten Schnee- und Wetterbindungen ordentlich auszukosten, starten wir zeitig los. Wir steigen mit Fellen vom Skigebiet Gargellen Richtung Gafierjöchle auf. Nach wenigen Minuten bekommen wir Einblick in atemberaubende Freeride Lines, die sich auf der rechten Seite unseres Hikes befinden. Das Face ist etwas angsteinflößend, da auf der rechten Seite eine große Abrisskante zu erkennen ist. Im unteren Bereich sieht man, wo die Lawine zum Stoppen gekommen ist. Lawinenweisheiten würden wohl in diesem Zusammenhang lauten: Der Hang ist durch den Abgang der Lawine entspannt oder alles was bereits unten ist, kann dir nichts mehr anhaben. Nach einer kurzen Teambesprechung und dem Austausch solcher Weisheiten beschließen wir dieses Face zu riden. Der Hike dauert circa 90 Minuten, und oben angekommen spüre ich, wie mein Herz rast. Sicher nicht nur von der Anstrengung des Hikes, sondern wegen der Aufregung vor dem Ride dieses Faces. Um nicht weitere große Lawinen loszutreten, ride ich direkt auf der Ridge und halte mich so lange wie nur irgendwie möglich auf dieser traumhaft verschneiten Linie, bis sie in ein sehr steiles (circa 55 bis 60 Grad) Face mündet – drei Turns und straight out – was für ein Run! Ich bekomme heute noch weiche Knie, wenn ich an diese traumhafte Linie denke! Nun spuren wir unseren Weg hoch zum Gafierjöchle. Von hier kann man bis zu unserem Ausgangspunkt, der Zamangspitze, sehen. Die Grenze zwischen Österreich und der Schweiz verläuft genau hier, und ehrlich gesagt gibt es weit und breit keine Grenzkontrollen. Also ein Paradies für Schmuggler! Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs hätten wir hier wohl neben unseren, auch noch einige andere Spuren entdeckt. Die Abfahrt vom Gafierjöchle Richtung Schweiz wird selten befahren, da sie lawinentechnisch etwas heikel ist. Wir haben gute Bedingungen und genießen den Ride bis zu einer kleinen Hütte, die auf halbem Weg Richtung St. Antönien auf uns wartet. Haltet euch bei der Abfahrt eher auf der rechten Talseite, in Blickrichtung St. Antönien, da auf der linken Seite bei einem Abschnitt sehr hohe Cliffs auftauchen. In der kleinen Berghütte gibt es einige lokale Spezialitäten. Für uns ist es der perfekte Platz, um uns etwas zu stärken. Wir werden die heutige Nacht beim Ernst vom Berggasthaus Sulzfluh verbringen und treffen ihn in St. Antönien. Leider sind wir nach unseren zwei längeren Hikes und dem Stop auf der Hütte schon etwas spät dran. Ernst nimmt es gelassen und empfängt uns sehr herzlich. Ein weiterer Hike von etwas mehr als einer Stunde steht heute noch an. Während wir das ganze Essen für die Hütte gemeinsam mit dem Ernst zusammenpacken, erzählen wir von unseren heutigen Erlebnissen und unserer gesamten Tour. Als er dann auch noch den großen Fotorucksack von Dominik sieht, hat er wohl etwas Mitleid mit uns und offeriert uns einen Skidooride zur Hütte. Die Schmuggler vor rund 70 Jahren haben wohl keinen solchen Service genossen, wir jedoch genießen in vollen Zügen die Vorzüge des 21. Jahrhunderts inmitten der imposanten Felslandschaften des Rätikons.

montafon huette

Day 3: Die Hütte ist voll mit Skitourengehern. Daher stellt sich die Frage eines etwas längeren Schlafes gar nicht. Bereits im Morgengrauen sind wir unterwegs Richtung Drusentor. Der Hike verläuft unterhalb der großen Felswände des Rätikons, auf denen schon mehrfach Klettergeschichte geschrieben wurde. Das Wetter? Ist bei weitem nicht so gut wie die letzten zwei Tage. Der Wind hat aufgefrischt, und die Wolken bedecken immer mehr und mehr die Berggipfel. Als die Sicht nur noch wenige Meter beträgt, gibt es für uns nur noch die Option zur Hütte zurückzukehren. Wir nehmen gerade die Felle ab, um uns für die Abfahrt zur Hütte fertig zu machen, da frischt der Wind nochmals auf, und die Sonne lässt sich blicken. Unser Blick lässt das Drusentor erkennen, und so wird nochmals aufgefellt, und wir machen uns weiter auf den Weg zur Grenze zwischen der Schweiz und Österreich. Dieser Moment erinnert mich an die Schmugglergeschichten meiner Großeltern. Die haben immer gesagt, um so schlechter das Wetter, umso besser ist es zum Schmuggeln. Wenn’s so richtig kalt und stürmisch ist, dann bleiben die Grenzsoldaten in ihren Hüttchen, und selbst wenn sie heute ihren Allerwehrtesten aus dem Hüttchen befördert hätte, wäre ihre Sicht sehr eingeschränkt gewesen. Wir hingegen nützen die wenigen guten Sichfenster und genießen den langen Ride bis nach Schruns Tschagguns. In Schruns angekommen leere ich mit einem dicken Grinser im Gesicht meine mit Schweizer Schokolade prall gefüllten Hosentaschen.

 

Foto: Dominik Hartmann | Text: Chris Grabher


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