WinterRAUM
Fotos & Text: Rebelride Crew
Das Zeitfenster stand schon lange im Voraus fest und das winzige studentische Budget bestimmte die Klasse der Logis. 4-Gänge Menüs, Sauna, Aprés-Ski und Co. waren ausgeschlossen, stattdessen füllte sich der Einkaufszettel mit Mahlzeiten, die mit dem Gaskocher schnell und einfach zu zaubern sind. Schneefall war, wie so oft in diesem Winter, Mangelware und auch die Temperaturen kündigten eher den Frühling an, als tolle Powderruns.
Ein Gebiet oberhalb von 2000m musste her, so viel war schnell klar, doch wo genau würden wir die besten Chancen auf weichen Schnee haben? Unser Kumpel Tobi Heinle schickte den Winterraum der Kaltenberghütte oberhalb von Stuben ins Rennen. Nach kurzer Recherche stand das endgültig Ziel einen Tag vor Abreise fest.
Angekommen in Stuben treffen wir die beiden Brüder Julian und Marc Dorer. Die beiden Studenten sind in der Nähe von Freiburg aufgewachsen und sind zwei derer, die den Schwarzwald wie ihre Westentasche kennen. Nach High Fives und herzlichen Umarmungen öffnen wir die Türen unserer Autos und sofort purzeln uns die ersten Equipmentteile entgegen. Wir beginnen die Ausrüstung zu verteilen, in die großen Rucksäcke zu stopfen und alles was nicht mehr reinpasst, irgendwie mit Bandschlingen außen zu befestigen. Wir entscheiden uns für die bequeme Auffahrt mit dem Lift, denn von der Bergstation des Albona III sollte es nicht lange dauern ehe wir die Kaltenberghütte erreichen. Wir nehmen den Weg Richtung Osten über ein Plateau, weiter an den Hängen entlang, bis uns schließlich ein Kamm den Ausblick ins nächste Tal verwehrt. Oben am Grat angelangt, präsentiert sich uns ein Bild der Extraklasse. Mit ihren roten Fensterläden prangt die Kaltenberghütte auf einem, wie dafür geschaffenen Sockel in der Mitte des riesigen Kessels. Gegenüber sorgt ein beeindruckendes Face mit zahlreichen Rinnen und Flanken für eine fabelhafte Aussicht von der Sonnenterasse und weiter links ziehen sich weite Hänge hinauf bis zum Gipfel der Krachelspitze. Der strahlend blaue Himmel lässt dieses Bilderbuch-Panorama noch besser zur Geltung kommen und wir haben schon jetzt das Gefühl, dass uns grandiose Tage bevorstehen.
Hastig stolpern wir mit unserem überdimensionierten Gepäck die letzten Meter hinunter zur Hütte. Noch bevor wir die Tür zum Winterraum aufsperren sind wir völlig aus dem Häuschen. Es weht kein Lüftchen, die Sonnenterasse ist wohlig warm und der leichte Dunst im Tal sorgt für eine mystische Stimmung. Ein Sundowner der Extraklasse ist uns heute schon mal sicher. Das einzige Geräusch das wir wahrnehmen, ist ein leises Plätschern, das uns hinter der nächsten Ecke der Hütte einen Brunnen mit fließendem Wasser entdecken lässt. Philipp steht bereits ungläubig in der guten Stube und ist völlig überwältigt von der schier luxuriösen Ausstattung unserer Suite: Ein Ofen, Kochutensilien, Spielkarten, zwei Tetrapak Rotwein, sogar Licht war vorhanden. Wer braucht da schon ein 4* Hotel im Tal? Am frühen Nachmittag machen wir uns auf den Weg, die Umgebung zu scouten. Eine steile Rinne am gegenüberliegenden Massiv springt uns direkt ins Auge. Westausrichtung, morgens Sonne. "Das wäre doch was für morgen Vormittag", spekuliert Philipp, wenngleich wir nicht abschätzen können, welche Bedingungen uns dort drüben erwarten würden. Unsere Blicke richten sich noch einige Minuten hinüber, bevor wir bei gefühlten 15 Grad weiter aufsteigen. Wenig später kommen wir am Gipfelkreuz an und genießen den Blick hinab ins weite Tal, an dessen östlichem Ende unser Zuhause für die nächsten Tage emporragt. Ein leichter, kalter Südwind pfeift über den Kamm, wir wechseln unsere Klamotten und machen uns bereit für die Abfahrt. Sowohl Pulverschnee als auch konstante Schneebedingungen bleiben uns jedoch verwehrt. Von nassem Schnee, über festgefrorene Buckel bis hin zu Firn erwartet uns in dem kurzen nördlichen Abschnitt wirklich alles. Wir müssen feststellen, dass der Wind hier die vergangenen Tage stärker als erwartet sein Unheil getrieben hat. Nach dem Motto "Irgendwas wird schon gehen", kehren wir schließlich optimistisch gestimmt zu unserem Winterraum zurück und genießen dabei einen Sonnenuntergang par excellance. Den ersten Tag lassen wir bei gemütlicher Ofenwärme, einem guten Abendessen, viel Schokolade und einigen Runden UNO ausklingen.
Etwas verschlafen öffnen wir am nächsten Morgen die Türe nach draußen. Sofort sind wir hellwach. Wieder einmal sticht uns eine Kulisse wie aus dem Bilderbuch in die Augen und beschert uns einen Start in den Tag, wie man ihn sich besser nicht vorstellen kann. Nach einem reichhaltigen Frühstück packen wir unsere Rucksäcke, werfen uns in die Klamotten und schlüpfen in die leicht feuchten Skischuhe vom Vortag. Nur eine Stunde später stehen wir kurz vor dem Einstieg der Rinne, die wir am vorherigen Tag unter die Lupe genommen hatten. Überwältigt von der Steilheit der Hänge denken wir an die soulige Sequenz aus "Passenger", in der Tom Leitner, Fabi Lentsch, Tobi Tritscher und Raphael Webhofer eben jene Lines zerpflügen, die nun unter uns liegen. "Wenn's jetzt Powder hätte, wären die Hänge so krass geil zu fahren", schwärmen wir kurz, setzen dann aber unseren Weg zum Einstieg der heutigen Rinne fort. Frei nach dem Motto "Steil ist geil" geht es mit kurzen Schwüngen in die teils sulzige, teils festgefrorene Rinne. Mit großen Turns und brennenden Oberschenkeln kommt einer nach dem anderen aus der Rinne geschossen und versucht sich auf dem wenig fehlerverzeihenden Bruchharsch irgendwie auf den Beinen zu halten. Mehr war wohl nicht zu holen in diesem perfekten Face, deshalb entschließen wir uns für einen Hang anderer Ausrichtung. Eines war klar: Wenn es hier mit dem Puderschnee nichts werden sollte, müssen wir uns wohl mit hartem, windverblasenem Schnee begnügen. Während des Aufstiegs haben wir reichlich Zeit, um uns schöne Lines auszumalen und die Route perfekt zu planen. Mit gutem Gefühl kraxeln wir die letzten Meter Richtung Gipfel, packen unseren Kocher aus und stärken uns mit einer schmackhaften Suppe für den bevorstehenden Run. Noch immer zeigt sich das Wetter von seiner besten Seite, die Sonne blinzelt von der Seite in den Hang und sorgt für perfektes Licht um ein paar Shots vor dem Arlberger Panorama einzufangen. Nachdem ich mich an einem geeigneten Punkt platziert hatte, gibt es von mir das Go an die Jungs: "Ok, ich bin bereit, kann losgehen!" Philipp schießt los und setzt seinen dritten Schwung auf die jungfräuliche Wechte. In diesem Moment ist mir klar, dass gerade gewaltige Aufnahmen entstehen. Kurz darauf stürzen sich auch Julian und Marc ins Vergnügen. Jubelschreiend unten angekommen, checken ich die Jungs ab. Da war er, der gute Powder! Voller Euphorie klatschen wir die Felle auf unsere Ski und jagen für einen weiteren Run Bergauf.
Für den dritten Tag sagen die Wetterdienste erste Schneefälle und Nebel voraus, doch mit zwei ausgesprochen gelungenen Tagen im Gepäck sehen wir dem nahenden Wetterwechsel entspannt entgegen. Wir checken ein letztes Mal den Wetterbericht und verkriechen uns pünktlich um 22 Uhr in unsere warmen Schlafsäcke in der Hoffnung auf einen gut gesinnten Wettergott. Nach neun erholsamen Stunden Schlaf müssen wir allerdings beim ersten Blick aus dem Fenster ernüchternd feststellen, dass der Wetterdienst Recht behalten sollte. Der Nebel verhüllte die umliegenden Berge und verwehrten uns einen Blick auf die atemberaubende Kulisse, an der wir uns einfach nicht satt sehen konnten. Wir haben keine Wahl und verlängern unseren Schlaf um weitere Stunden. Die Gewissheit keine Eile zu haben, lässt uns merklich entspannen und so starten wir locker in den Tag, gönnen uns eine dicke Portion Müsli mit Obst und genießen die Ruhe und Einfachheit am Ofen des Winterraumes. Mails können hier oben nicht beantwortet werden, denn Strom und Handyempfang sind Mangelware. Es dauert eine Weile, bis wir uns völlig entspannen können und nicht das Gefühl haben, ständig auf's Display unseres Smartphones gucken zu müssen, doch von Tag zu Tag lassen wir uns mehr und mehr fallen. Neben den täglichen Aufgaben, den Ofen einzuheizen und Essen zu kochen, finden wir genügend Zeit, um über alles Mögliche nachzudenken, Karten zu spielen und uns intensiv auf die nächsten Runs am Berg vorzubereiten. Zeit, die wir in unserem täglichen Leben zwischen Uni, Arbeit und Freunden nicht haben, so scheint es zumindest, denn es tut uns erstaunlich gut, dem hektischen Alltag zu entfliehen.
Während wir so dasitzen und am heißen Tee nippen, schweift der Blick immer wieder aus dem Fenster. Langsam werden wir ungeduldig. Ermutigt durch leichte Auflockerungen in der dichten Nebeldecke beschließen wir uns bereit zu machen um wenigstens etwas frische Winterluft zu schnappen und die Aufstiegsroute zum Einstieg der geplanten Rinne zu inspizieren. Eine Stunde später stehen wir am Fuße eines beidseitig von Felsen begrenzten, sich nach oben verjüngenden und steiler werdenden Hanges. Die Schneebedingungen wechseln auf kleinstem Raum von harschig bis pulvrig, sorgen aber dennoch für angenehme Laufbedingungen. Angeführt von Philipp, bewältigen wir gut drei Viertel der Strecke mit Spitzkehren, bevor wir unsere Ski auf den Rücken schnallen um das letzte steile Stück bis zum Grat zu meistern. Auf unserem Weg nach oben erahnen wir immer wieder von der Sonne aufgehellte Bereiche über uns, der Gedanke, die geplante Rinne zu befahren, scheint auf einmal gar nicht mehr so unrealistisch. Leider sollte es bei diesem Gedanken bleiben, denn dicke Nebelfelder nehmen uns aber immer wieder die Sicht. Heute müssen wir uns damit zufriedengeben, unsere Lines in die wechselhaften Bedingungen im Bereich unseres Aufstiegs zu ziehen, doch erstaunlicherweise finden wir recht annehmlichen Schnee vor, sodass uns auch dieser Hang ein Grinsen ins Gesicht zaubert. Zurück an der Hütte können wir einstimmig sagen, den Tag so gut es geht genutzt zu haben. Leider verhüllte der Nebel auch an unserem letzten Tag den kompletten Kessel, sodass es erneut bei einem Run nahe der Aufstiegsspur bleiben sollte, eher wir zur Hütte zu rückkehren um unsere Sachen zu packen. Wir studieren die Landkarte, stellen den Höhenmesser ein und navigieren mit unserem riesigen Gepäck im völligen Blindflug zurück zum Sessellift.
Manch einer mag sich vielleicht schwer vorstellen können, vier Tage, nur mit dem Nötigsten, auf einer kleinen Hütte zu verbringen, die gewohnte Umgebung vorrübergehend zu verlassen und sich mit den wesentlichen Dingen des Lebens zu beschäftigen. Mehr als Skifahren, Essen, Trinken und Schlafen steht nicht auf dem Tagesplan und so bleibt uns massig Zeit, das überlaufende Gehirn zu sortieren, Karten zu spielen oder einfach nur witzige Anekdoten aus dem Leben zu erzählen. Abends liegen wir in unseren Schlafsäcken und lauschen amüsanten Bergsteigergeschichten. Sieht man von den Aufgaben ab, den Ofen mit Holz zu füttern, Essen vorzubereiten oder den Abwasch im nahezu gefrorenen Wasser zu tätigen, müssen wir keinen Verpflichtungen nachkommen. Wir lernen ein weiteres Mal die Einfachheit des Lebens zu schätzen und können trotz körperlicher Anstrengung das Hirn ausschalten. Die Zeit auf der Hütte stellt einen tollen Kontrast zum Alltag dar und bietet optimale Voraussetzungen in sich zu gehen und neue Pläne für die Zukunft zu schmieden.
DIE HÜTTE.
Die Kaltenberghütte liegt oberhalb von Stuben in einem großen Kessel unweit der Bergstation des Albona III. Ohne Felle, mit nur einer Querung und einigen seitlichen Aufstiegsschritten gelangt man bequem vom Sessellift zum Winterraum. Die Kaltenberghütte ist eine Alpenvereinshütte der Sektion Reutlingen, den Schlüssel zum Winterraum gibt es gegen eine Kaution bei Hüttenwirt Markus Kegele. Die Austattung ist verhältnismäßig luxuriös. Während es auf manchen Hütten schon am Ofen scheitert, gibt es hier ausreichend Wolldecken, einen großen Herd, Brennmaterial (Holz), Kochtöpfe, Pfannen, Teller, Tassen, Gläser, Besteck, ein Bio-Klo und sogar fließend Wasser aus dem Brunnen auf der Terrasse.