bergstolz

Kontraste Kleinwalsertal


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„…Auf der B19 und weiter auf der B201 vom Klein walsertal nach Sonthofen herrscht starker Rückreiseverkehr. Hier verliert Ihr im Moment gerade 1 ¾ Stunden…“ Na Gottseidank fahre ich in die Gegenrichtung – ins Kleinwalsertal. Ein paar Minuten später nehme ich das Radio kaum mehr wahr, es liefert gerade noch den Hintergrundsoundtrack, während ich über die kommenden Tage vor mich hin sinniere…

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NaZwei Tage unter dem Motto „Kleinwalsertal für Abfahrer“. Ich war noch nie dort, hoffe aber, hier ein bisschen Ursprünglichkeit, ein wenig Gelassenheit, etwas Ruhe abseits der Menschenmassen zu finden. Also all das, was man in den Tiroler Skigebieten zwischen Kitzbühel und Ischgl ab Weihnachten intensiv suchen muss. Warum ich glaube, diese Dinge, oder vielmehr Stimmungen, ausgerechnet hier aufspüren zu können, liegt vermutlich an der Vorstellung von geschindelten Walserhäusern, die unter dicken, weißen Schneehauben und mit einladend beleuchteten Fenstern auf mich warten.

Schnee sollte es übrigens wahrlich genug haben, denn seit zwei Wochen überschlagen sich die Nachrichten regelrecht in ihren Quasi-Katastrophenmeldungen über „unvorstellbare Schneemassen, die die Alpen ins Chaos stürzen“. Wir schreiben den in Freeriderkreisen legendären Januar 2019.

Außerdem fühlt sich das Kleinwalsertal für mich Neuling wie eine Enklave an, eine eigene kleine Zwischenwelt: Es gehört zwar zu Österreich, genauer zu Vorarlberg, ist über den Straßenweg aber ausschließlich über Deutschland erreichbar. Ein solches Gebiet wird sogar als „funktionale Enklave“ bezeichnet, lerne ich später. Es liegt in den Allgäuer Alpen, zählt aber nicht zum Allgäu. Der Name des Tals stammt von den Walsern, die im 13. Jahrhundert vom Wallis aus zuwanderten. Noch heute gibt es im Alpenbogen rund 150 Walsersiedlungen – vor allem in der Schweiz, aber auch im Aostatal, dem Piemont oder eben in Vorarlberg.

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Meinen Gedanken und Erwartungen nachhängend bin ich mirnixdirnix in Oberstdorf. Gefühlt einen Wimpernschlag später passiere ich auch schon die Landesgrenze und befinde mich wieder in Österreich. Die Straße führt weiter ins Tal, erst an der Parsennbahn verlasse ich die Hauptstraße. Mein Ziel ist nämlich die Auenhütte, direkt an der Ifenbahn.

Die Auenhütte blickt auf eine lange und traditionsreiche Geschichte zurück: Der älteste Gebäudeteil stammt aus dem Jahr 1925, 1936 trainierte die Deutsche Ski-Alpin Nationalmannschaft hier für die Olympischen Spiel in Garmisch. Damals gab es noch keinen Lift, die Sportler mussten also zuerst aus eigener Kraft den Hang hinauf. Bis in die 1960er Jahre etablierte sich die Auenhütte dann als Unterkunft für gutbetuchte Skitourengeher – zahlreiche feuchtfröhliche Feste inklusive. Der stetig abnehmende Touristenstrom resultierte 1995 in der Schließung des Übernachtungsbetriebs. Einzig das Bergrestaurant wurde weitergeführt. Das Gebäude wurde nicht mehr saniert, es verfiel zusehends.

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Nur einer sah in der Auenhütte stets das Besondere: Der streitbare Tourismus-Pionier Frieder Bantel. Er und sein Sohn Christoph setzten in den vergangenen zehn Jahren alles daran, das traditionsreiche Haus neu zu beleben, die ersten Zimmer wurden renoviert und konnten ab der Saison 2012/13 wieder vermietet werden. Christoph und seine Frau Tanja – beide gebürtige Kleinwalsertaler – steckten in den darauffolgenden Jahren ihr gesamtes Herzblut und ihre Energie in das Projekt Auenhütte. Mit Erfolg: Nach und nach wurden sämtliche Stockwerke sowie die Restaurant-Stuben saniert, und so bietet sich bei meiner spätnachmittäglichen Ankunft genau der Anblick, den ich mir erträumt habe.

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Im Dunkel strahlen die Fenster warmes Licht in die tief verschneite Landschaft. Das große Holzhaus versprüht alpenländischen Charme, ohne aber irgendwie kitschig zu sein. Man sieht dem Gebäude seine Verjüngungskur deutlich an, erkennt aber sofort auch die Tradition, die in dem – man muss es sagen – Hotel steckt. Ein Bild wie aus dem Tourismusprospekt oder einem alten Heimatfilm, fast zu schön, um wahr zu sein. Am Weg zur Rezeption entdecke ich aber noch was ganz anderes: Die Laubela. Der stylische Glas-Anbau könnte genauso gut in einer Après-Ski-Hochburg stehen. 2017 wurde die Bar eröffnet, die Einrichtung ist stylish-alpin gehalten, die Atmosphäre modern und cool. Mit halben Lösungen gibt sich Chef Christoph nicht zufrieden. Später am Abend wird er vom Highlight der Laubela erzählen: „Bei schönem Wetter sitzt man bei uns ‚oben ohne‘, wir können das Dach nämlich auffahren!“

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Zuerst einmal bugsiere ich aber meine sieben Sachen ins Zimmer. Eigentlich könnte ich gleich hierbleiben, ich fühle mich von der ersten Sekunde an sauwohl: Das ganze Haus ist mit viel Holz und noch mehr Liebe zum Detail renoviert worden, Gemütlichkeit wird hier großgeschrieben. 5*****-Luxus wird man nicht finden, dafür ein Hotel, in dem man sich zuhause fühlen kann. Und ein Haus, das eine beinahe perfekte Symbiose zwischen Tradition und Modernität schafft. „Auch wenn nicht alles handwerklich perfekt ist bei uns, sind wir stolz darauf, so vieles selbst gemacht zu haben und uns selbst überall wiederfinden zu können“, erzählt Christoph Bantel später.

Wir essen in der „Stuben“ zu Abend. Dass hier früher wilde Feste gestiegen sind, kann ich mir lebhaft vorstellen, auch unsere kleine Gruppe sitzt ziemlich gut am großen Tisch. Maria ist zwar hochschwanger, wollte sich die zwei Tage Skitouren und Freeriden im Kleinwalsertal jedoch auf keinen Fall entgehen lassen. Stefan schreibt gerade an einem Buch über Skidurchquerungen, Folkert fotografiert leidenschaftlich alles, was draußen passiert. Robert kommt aus Wien und ist wohl der stärkste Skifahrer unter uns. Elmar, PR Manager des Kleinwalsertals, und seine (zu diesem Zeitpunkt noch zukünftige) Frau Lela komplettieren unsere Truppe. Er erzählt leidenschaftlich von seiner Heimat, von der Entwicklung des Skigebiets – aber vor allem von den Menschen, die hier leben. So stößt etwas später dann auch Christoph zu uns, der uns die Historie der Auenhütte in bunten Bildern schildert. Allzu spät lassen wir den Abend dann aber doch nicht ausklingen, schließlich wollen wir die kommenden zwei Tage noch mehr als nur die Stuben in der Auenhütte auskundschaften.

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Nächster Morgen: Nebel. Null Sicht. Kein Kontrast. Grau in Grau. Nach dem Frühstück treffen wir unseren Guide Samuel zur Lagebesprechung, auch Fotograf Martin kommt dazu. Seinen ursprünglichen Plan für heute hat Samuel schon längst umgeworfen, wir packen unser Zeug und nehmen fürs erste den „easy way up“: Ifenbahn nach oben. Wir steigen kurz rauf aufs Hahnenköpfle, doch die Befürchtungen bestätigen sich: Das Panorama lässt sich nicht einmal erahnen. So führt uns unser erster Run in sehr schön kupiertes, gemäßigtes Gelände auf den Gottesacker. „Der Sage nach war die Steinwüste, die jetzt vom Schnee bedeckt ist, früher eine blühende Alm. Eines Tages kam ein Bettler auf die Alm und bat um etwas Käse, wurde aber mit Hohn und Spott weggeschickt“, erzählt Elmar enthusiastisch die alte Geschichte. „Da verfluchte der Bettler die Alm, und die Naturgewalten wüteten so lange, bis nur noch diese Steinwüste übrigblieb.“ Ganz so ungefährlich, wie es auf den ersten Blick scheint, ist das Gottesackerplateau aber dann doch nicht: „Gottesacker bedeutet schließlich Friedhof. Und es ist noch nicht so lange her, da konnten ein Skilehrer und seine Kundin nur deshalb unverletzt aus einer Lawine geborgen werden, weil zufällig gerade eine Gruppe professioneller Bergretter bei einer Übung hier waren.“

Wir genießen jedenfalls die Fahrt über Gottesacker, Schneiderküren und Schmalzboden hinunter nach Hirschegg. Genau das richtige zum Einfahren. Wir nehmen den Bus nach Wäldle, von dort Parsenn- und Heuberglift, und ab hier unsere Felle, um auf das Walmendingerhorn aufzusteigen. Ich danke innerlich dem Schicksal, Elmar und meinem Glück, dass Samuel die Spur legt und genau weiß, wo er hinmuss. Zwischenzeitlich gehen einfach jeglicher Kontrast und Anhaltspunkt verloren, unser kleiner Trupp zieht im Gänsemarsch durch das Weiß nach oben. Viel erkennen lässt sich gerade nicht.

Besser wird es erst, als wir schon fast an unserem Ziel angekommen sind. Und nach Samuels Ansage, dass wir auf der anderen Kammseite abfahren werden und einem Blick über den Grat bessert sich meine Laune innerhalb einer Millisekunde: Toller Hang, mehr Sicht, offensichtlich guter Schnee – das wird spaßig! Nach einer kleinen Gipfelrast – Jausen muss schließlich sein – kommt der beste Teil des Tages: Wir fahren in schönstem Pulverschnee über die Litzescharte ab und beenden unseren Tag bei einem Feierabendbier in der Laubela – schließlich endet der Run genau an der Auenhütte. „Für morgen schaut der Wetterbericht vielversprechend aus, also nicht zu lange sitzen bleiben heute Abend!“ ermahnt uns Samuel lachend, bevor er sich auf den Heimweg macht.

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Und tatsächlich: Was für ein Kontrast! Der nächste Morgen begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein, und so beeilen wir uns, schnellstmöglich wieder in der Ifenbahn nach oben zu sitzen, um unsere Tour rund um den Ifen in Angriff zu nehmen. Endlich können wir auch am Hahnenköpfle Panorama satt genießen, bevor wir in die Bindung klacken. LVS-Check und los geht’s in die Querung zum Hirschgraben: „Hier solltet Ihr besser nicht runterfallen“, kommentiert Samuel trocken und erklärt uns, wo wir einfahren sollen. Einer nach dem anderen setzen wir unsere Schwünge rein. Während der Schnee zu Beginn noch etwas tricky ist, warten nach den ersten Metern feinste Powderturns auf uns, und als die Rinne schließlich in einen weiten Hang übergeht, gibt’s für uns kein Halten mehr. Mit breitestem Grinsen jagen wir durch den glitzernden Pulver. Lachend und plappernd fallen wir im Jagdgasthaus Egender ein, um bei einer kleinen Stärkung auf unseren Shuttle nach Warth zu warten.

Gegenüber der Jägeralpe adjustieren wir uns zum finalen Aufstieg mit Sonne im Rücken in Richtung des großen Widdersteins. Den werden wir zwar nicht erklimmen, beeindruckend thront er dennoch über uns. Schön, dass niemand den Speedtourengeher in sich rauslässt, sondern im Gegenteil, die ganze Gruppe sichtlich den Blick in die umliegenden Berglandschaften genießt. Wir unterhalten uns und erfreuen uns des Augenblicks. Unterhalb des Gipfelanstiegs machen wir uns gut gelaunt fertig für das Highlight der beiden Tage: Die Abfahrt durch Konrader Loch und Gemsteltal zurück ins Kleinwalsertal. „Die Tour haben in den letzten Tagen sicher nicht viele gemacht, da warten noch jede Menge unverspurter Lines auf uns“, verspricht Samuel - und sollte Recht behalten. Die Lichtstimmung ist phänomenal, Licht-Schattengrenzen messerscharf und der Schnee eine Wucht.

Vollkommen stoked sitze ich im Bus zurück zur Auenhütte und kann nicht anders, als zu überlegen, ob ich nicht noch zwei Tage dranhängen könnte. Kann ich leider nicht. Aber ich fasse den festen Entschluss, im kommenden Winter wieder zu kommen. Denn das Kleinwalsertal hat mit seinen vielen Facetten – der Verbindung von Tradition und Moderne, der unprätentiösen Herzlichkeit und nicht zuletzt dem vielseitigen Skitour- und Freeridegelände - mein Skifahrerherz im Sturm erobert. Die Atempause, die ich gesucht hatte, hat mir das Kleinwalsertal gegönnt. Könnte ich durchaus wieder mal brauchen…

Infobox

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// ANREISE

Mit dem Auto von München ca. 2,5 Stunden: A96 und B12 bis Kempten – B19 nach Oberstdorf – B201 Walserstraße ins Kleinwalsertal

Mit den Öffis von München ca. 3,25 Stunden: DB von München nach Oberstdorf – per Bus ins Kleinwalsertal

Die Busbenutzung ist mit Gästekarte und Allgäu-Walser-Card im gesamten Tal kostenlos! Der Walserbus verkehrt auf fünf Linien zwischen Oberstdorf und dem Ifen.

// UNTERKÜNFTE / ESSEN

Kleinwalsertal Tourismus eGen
info@kleinwalsertal.com
www.kleinwalsertal.at

Auenhütte & Laubela Tanja & Christoph Bantel
www.auenhuette.at

Sonna Alp / Zafernalift
Familie Riezler
www.sonna-alp.at

Jagdgasthaus Egender
Mariette & Hubert Egender
www.jagdgasthaus-egender.at

// GUIDES

p>Samuel Riezler
info@skigott.at
www.skigott.at

Bergschule Kleinwalsertal
info@bergschule.at
www.bergschule.at




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