Engelberg
ispo-Montag, 10:35 Uhr - ich hetzte durch die Halle A4, seit nunmehr drei Terminen versuche ich Zeit gutzumachen. Leider bin ich aber schon wieder zu spät dran. Und das bei einem so interessanten Termin mit dem Erfinder der Rocker Ski. Ich erreiche die Freeridehalle A3, bei Norröna links abbiegen, an Sweet vorbei, mit einem schnellen Blick am Mons Royale Stand vorbei. Ziel erreicht. DPS Skis. Ich bin sieben Minuten zu spät für meinen Termin mit Firmengründer und Erfinder der Rocker Ski Stephan Drake.
Foto: Oskar Enander
Leider bin nicht nur ich zu spät. Stephan ist noch gar nicht am Stand, oder schon nicht mehr, oder doch und er hat keine Zeit oder Lust. So genau kann ich das Roland, dem Deutschland Vertreter von DPS, nicht entlocken. Nach einigem drehen und wenden stellt sich raus, dass ich den Sprint von der Halle A6 umsonst gemacht hab, Stephan ist nicht am Stand, aber, so meint Roland nach mehreren Minuten Smalltalk "Er meinte ich soll Dich mit nach Engelberg nehmen, da wäre mehr Zeit und wir können auch gleich die Ski testen". Was Engelberg, wann Engelberg und wie und überhaupt? Roland bleibt ruhig – der weiß auch nicht, dass ich in 8 Minuten schon wieder in der Halle B2 sein muss – und erklärt mir, dass DPS den Europasitz in Engelberg hätte und das gesamte Team, inklusive Teamridern sowie Haus- und Hoffotograph Oscar immer direkt von der ispo in München nach Engelberg fahren würde. Teammeetings, Fotoshootings, Skifahren. Direkt nach der ispo nach Engelberg? Da war ich noch nie! Der Schnee müsste gigantisch sein und ich könnte mitfahren. 5 Minuten zum nächsten Termin, keine Zeit mehr für langes rumüberlegen: OK ich bin dabei. Wann soll ich am Donnerstag wo sein?
Foto: Oskar Enander
Drei Tage später rollen wir auf schneebedeckter Fahrbahn durch Engelberg. Es ist dunkel und schneit, außer dem Ort ist nicht viel zu sehen. Ein Glück, dass es bei uns im Hotel eine Fondue- Stube gibt. Was gibt es geileres, als Skifahren in der Schweiz mit einem anständigen Käsefondue zu beginnen. Und wie anständig das Fondue ist, riecht man jedes Mal, wenn man für dringende Geschäfte kurz den Raum verlassen muß und dann zurück in die "Stube" kommt und dabei vor eine harte, fast undurchdringliche Wand aus Käse Duft läuft. Nach einem kurzen Treffen mit allen anderen ispo-Geschädigten und einem schnellen Absacker ist aber schnell Schluss – man merkt, dass nach 4 Tagen Messe und einem Tag Anreise jeder heiß auf's Skifahren ist. Und es schneit ja immer noch!
Foto: Oskar Enander
Am nächsten Morgen müssen wir erst mal den Bus von Schnee befreien, um an unsere Ski zu kommen. Geil, 20cm! Leider hat sich das Wetter nicht wirklich gebessert, was gegen das Skigebiet Titlis spricht. Engelberg hat zwei Gebiete – das hochalpine und als Freeridemekka bekannte Titlis und das Familienskigebiet Brunni. Leider geht es uns beim Treffpunkt vor dem Sportshop Okay – dem lokalen Treffpunkt für Freerider und Bergführer – wieder so wie vor drei Tagen auf der ispo: Stephan und die Teamrider sind zur Bannalp gefahren um dort Fotos zu machen. Nach einem kurzen Informationsaustausch mit Dani, dem Chef vom Okay Shop, denken wir zu wissen, wo wir am Brunni hin müssen. Das Gebiet Brunni besteht eigentlich nur aus drei Liften, aber schon im zweiten davon – einem altersschwachen Zweiersessellift – erkennen wir das Potential. Direkt unter dem Lift, im Wald daneben, rechts und links vom anschließenden Schlepplift. Das Gebiet geht nur bis auf 2040 Meter Höhe und ist eigentlich bis auf den "Gipfelhang" walddurchsetzt, was uns an dem Tag sehr zugute kommt. Auch ohne Ortskenntnis und Karte finden wir den ganzen Tag gute Runs. Zweimal verfahren wir uns und kommen dabei einmal mitten an der Staatsstraße und das zweite Mal mitten in Engelberg raus, was aber beides, dank der eingespeicherten Taxirufnummer und schneebedeckter Straßen in Engelberg kein Problem ist. Und das Erlebnis, mit den Ski durch Engelberg zu fahren, vor dem Supermarkt anzuhalten, die Mittagsjause zu kaufen und dann mit den Ski weiter zum Bahnhof zu fahren hat auch was!
Foto: Bergstolz
Nach dem Skifahren gibt es eigentlich nur einen Ort für den Absacker: Die Ski Lodge. Eine Skibar im besten Sinne – gemütlich, authentisch und schwer in schwedischer Hand. Neu eintreffende Gäste schälen sich aus den neuesten Funktionsklamotten der namhaften Hersteller, auf allen Hacken und Simsen werden Helme, ABS Rucksäcke und Klamotten verstaut. Ein buntes Grüppchen aus Einheimischen, Bergführern, Schweden und Gästen aus der ganzen Welt. Unter anderem ein Gast aus Süd Californien, der Erfinder der Rocker Ski und der Mann, dem ich eigentlich seit Tagen hinterherlaufe. Das Gute ist, dass man nach einem Tag im Powder schnell Themen findet und beim Aprés-Bier wesentlich lockerer reden kann als auf einer Messe. Stephan ist eigentlich alles andere als ein "CEO" und die Story, wie er den Rocker Shape "erfunden" hat klingt aus seinem Mund amerikanisch ehrlich: Bei einem Sprung hat er seinen Atomic Powder Pluses gestaucht. Da er keine Kohle für einen neuen Ski hatte und das Ding mit gestauchtem Tail eigentlich besser fuhr als vorher, war es für ihn naheliegend, den zweiten kurzerhand auch "zu rockeren" und einfach weiterzufahren. Aus dem Unfall entstand eine neue Art Ski zu "behandeln" bzw. in den folgenden Jahren Ski zu bauen "Nothing spectacular".
Foto: Matteo Calcamuggi
Am nächsten Tag sind wir mit dem Chef des Tourismusverbandes zum Skifahren verabredet, was mir, bei dem Powder der mittlerweile in und um Engelberg liegt, überhaupt nicht passt. Denn der "gemeine Tourismuschef" fährt einen Slalomcarver, trägt enge, wattierte Klamotten und hat für die Art des Skifahrens wie wir es betreiben wenig übrig. Und das bei dem Powder! Ein Glück, dass wir uns für Nachmittag – ab da soll das Wetter aufreißen – mit den DPS Jungs im Skigebiet Titlis verabredet haben. Als ich immer noch leise fluchend an der Bushaltestelle Richtung Brunni stehe, kommt der Auftritt von Frederic: Bergans Klamotten, RAS-Rucksack, Salomon Rocker2 – Yeah!!! Und das Outfit und die Ski sind nicht nur Show. Frederics Mutter ist Schweizerin, er selbst ist aber im Ruhrpott aufgewachsen und später, wegen dem Skifahren, wieder nach Engelberg zurückgekommen. Mit uns redet er "Deutsch", mit den Einheimischen wechselt er sofort in den Engelberger Schwyzer Dütsch Dialekt was sich sehr, sehr witzig anhört. In der Gondel fragt er uns, was wir denn gestern schon alles gefahren seien. Und man merkt, wie er sich einen genauen Plan zurechtlegt, welche Runs in welcher Reihenfolge für den Vormittag auf dem Programm stehen. Das Gute ist, wenn man einen Local dabei hat, dass man sich um nichts mehr zu kümmern braucht und auch den Spuren hinterherfahren kann, die man am Vortag ausgelassen hat. Aber wir fahren nicht den Spuren anderer hinterher! Frederic entpuppt sich als Freeride-Junkie mit Sendungsbewusstsein! Ein Hammer-Run folgt dem anderen. Waldabfahrten mit freien Flächen dazwischen. Offene Hänge mit groundless Powder die entweder zurück zum Lift oder zur Straße führen, wo meist das Taxi schon auf uns wartet. Im Nachhinein betrachtet einer der besten Vormittage der letzten Saison! Wobei die Formulierung sehr bewusst gewählt ist: einer der besten und VOR-mittage. Denn mittags wechseln wir ins Skigebiet Titlis, um uns mit den anderen zu treffen. Frederic, der eigentlich mit der Familie zum Spazierengehen wollte, hat sich kurzerhand bei seiner Frau mit dem Vorwand "Wichtige internationale Journalisten" abgemeldet und ist natürlich auch noch mit von der Partie. Titlis ist hochalpin. Die Drehgondel weltbekannt und die Uhrenläden – mit chinesischem Personal – in der Bergstation legendär. Aber wir sind ja nicht zum Shoppen hier. Vor uns liegt "Steinberg". Ein Run direkt über den Gletscher. 1200 Höhenmeter imposantes, hammermäßiges Freerideterrain. Nur leider liegt so viel Schnee, dass man in den etwas flacheren Passagen – und flach heißt hier nicht topfeben, sondern durchaus gut geneigt – sogar anschieben muss. Trotz der 190er Powderlatten versinken wir einfach im Schnee. Aufgrund der extremen Schneelage ändert Frederic auch seinen Plan uns die Hänge runter vom Jochstock zu zeigen - einfach zu gefährlich heute! Und schlägt deshalb "Laub" vor. Bei Charlotte – DPS Europe Chefin und Engelbergerin aus Überzeugung – zaubert das sofort ein vielsagendes Lächeln ins Gesicht. Dieses Lächeln weitet sich bei allen in der nunmehr auf acht Rider angewachsenen Gruppe zu einem fetten, ungläubigen Grinsen aus, als wir an der Einfahrt zu "Laub" stehen: Ein 1000 Höhenmeter Hang, voll einsehbar, mit einem Meter Neuschnee und nur ganz, ganz vereinzelten Spuren liegt vor uns. Der Hang hat alles! Weite Flächen für Speedturns, ein paar Geländewechsel für Jumps, welliges Gelände zum Spielen, einfach genial. Nur der Weg zurück zur Gondelstation ist etwas umständlich – entweder per uraltem Toyota Bus zu zwölft bei acht Sitzplätzen oder im Skatingschritt durch den Wald. Aber was soll's, bei dem Hang! Uns dauern die Runden über die Gerschnialp-Trübsee-Laubergrat viel, viel zu lange und die kostbare "Powderzeit" läuft uns wie geschmolzener Schnee zwischen den Fingern durch. Viel zu schnell ist es 16.00 Uhr und wir müssen die lange Talabfahrt vom Obertrübsee durchs Kanonenrohr vorbei am Untertrübsee nach Engelberg antreten.
Einstieg in den Run vom Galtiberg
Jeder strahlt vor Glück und ist total mit dem Tag zufrieden, als wir auf die Couch in der Ski Lodge sinken und die erste Runde Bier bestellen. Nur Frederic kann sich noch nicht ganz entspannen – da wäre noch was, erklärt er mir. Und als ich frage, ob er mit dem zusätzlichen Nachmittag und dem abgesagten Familienprogramm den Bogen vielleicht etwas überspannt hätte, lacht er nur. Erstens seid Ihr ja wichtige internationale Journalisten und zweiten kennt meine Frau das schon. Nein, es hat nichts mit dem Haussegen zu tun, sondern mit einer Abfahrt, die er uns unbedingt noch zeigen will. "Aber wenn, dann muß ich morgen um 10.00 Uhr wieder zuhause sein, das hieße erste Gondel! Was meint Ihr? Ich versprech Euch, das Aufstehen lohnt sich!" So was braucht man uns natürlich nicht zweimal sagen und so stehen wir am nächsten Tag schon 15 Minuten vor dem vereinbarten Termin am Treffpunkt. Frederic kommt zwei Minuten später und auch ihm ist die Vorfreude anzusehen. Auf der Liftfahrt, mit drei Gondelbahnen und zweimal Umsteigen, erzählt uns Frederic vom Galtiberg! Die Variante sei auf einem Bergführerportal unter den Top Ten der schönsten Freerideabfahrten der Alpen und sie ginge über 2000 Höhenmeter von der Gipfelstation bis hinunter in den Ortsteil Eienwäldli. Und irgendwie hatten wir in den Tagen davor ja schon den absoluten Powder-Overkill. Was soll denn jetzt noch mal oben drauf kommen? Aber so wie Frederic die Dialekte wechselt, wechselt man an der Gipfelstation des Gletscherlifts die Welten. Weg von der Piste, hinein in eine beeindruckende, hochalpine Freeride-Super-Sause! 2000 Höhenmeter Freeride Wahnsinn. Weite Hänge, enge Traversen, steile Rinnen, vorbei an Felswänden und Eisfällen. Bigturns und Sicherheitsfahren. Nach 1800 Höhenmeter erreichen wir eine tiefe Schlucht, die uns nach einem Kilometer "Ziehwegen" unvermittelt an einer Langlaufloipe und der dazugehörigen Bushaltestelle ausspuckt. Es ist kurz vor 10.00 Uhr und der Bus fährt direkt an Frederics Haus vorbei. Alles Gut in der Hinsicht! Leider müssen wir jetzt den zweiten und dritten Turn ohne ihn machen und uns dann auch wieder aus Engelberg verabschieden. Was für ein Kontrastprogramm zu normalen "Nach-ispo-Tagen", bei denen man unmotiviert und ausgepowert zuhause rumliegt und auf die obligatorische Erkältung wartet. Um die Erkältung bin ich leider nicht rumgekommen und sie war auch heftiger als die Jahre davor, aber dieses Mal hat sie sich wenigsten voll rentiert!
Foto: Oskar Enander
Text: Ralf Jirgens Fotos: Oskar Enander, Matteo Calcamuggi, Titlis – Engelberg, Bergstolz
Infobox Engelberg:
Engelberg-Titlis gilt mit 82 Kilometern Piste, 24 Lifte und Bergbahnen als größtes Ski- und Freeride-Gebiet der Zentralschweiz.
Ski Lodge Engelberg | Chalet Espen | Hotel Schweizerhof |
Erlenweg 36 | Engelbergerstrasse 70 | Dorfstrasse 42 |
6390, Engelberg | 6390 Engelberg | 6390 Engelberg |
www.skilodgeengelberg.com | www.chaletespen.com | www.schweizerhof-engelberg.ch (mit eigenem Fondue Stubli) |
Anreise:
München: 400km (4:15h)
Stuttgart: 310km (3:20h)
Innsbruck: 340km (4h)
Von Basel, Zürich oder Bern braucht man ca. 1 Stunde und 15 Minuten. Ab dem Flughafen von Zürich verkehren Züge im Halbstundentakt bis Luzern. Von dort braucht die Zentralbahn weitere 47 Minuten nach Engelberg.
Wohnwagen:
Das Abstellen von Wohnwagen und anderen mobilen Unterkünften ist im Gemeindegebiet von Lech Zürs untersagt.
Karten:
FRM Engelberg (www.freeride-map.com)
Bergführer und Guides:
www.bergfuehrer-engelberg.ch | www.prime-engelberg.ch