Skifahren ohne Grenzen // Kleinwalsertal
Die Grenzen zum gelobten Nachbarland Österreich fast unüberwindlich ge-schlossen. Die Schweiz und Italien mit Einreise-, Ausreise und sonst noch was für Quarantäne Verordnungen so fern wie noch nie. Man könnte na-türlich mit „Schnakslbescheinigung“ oder „ultra wichtigen Geschäftster-minen“ die ein oder andere Regel und damit auch Grenzen umgehen – aber es geht auch anders. Ganz legal und Coronakonform. Und das sogar als Deutscher in Österreich!
Bronco und Knobi sind zwei Namen, die dem treuen Bergstolz Leser schon öfter mal untergekommen sind. Das erste Mal bei einem ziemlich spontanen Ausflug direkt von der ISPO nach Engelberg. Ein denkwürdiger Trip, der natürlich auch bei unserem „Revival“ wieder zur Sprache kam und für einige sehr schöne und schneereiche Erinnerungen sorgte. Knobi hat uns dann noch mal mit einer schönen Story aus Georgien versorgt und Bronco ist zu einem unserer besten und motiviertesten Teilnehmer beim alljährlichen Freeride Skitest geworden. Grund genug, wieder mal gemeinsam die Ski ins Auto zu schmeißen und der gemeinsamen Wintersportbegeisterung freien Lauf zu lassen. Wäre nicht „Corona“, wäre die Auswahl sicher auf eines der bekannten und meist berüchtigten Alpenresorts oder einen Geheimtipp gefallen. Da uns alle diesen Winter aber das Virus und die damit verbundenen Einschränkungen fest im Griff haben und Knobi von seinem Arbeitgeber eine strikte „Risikogebietssperre“ verordnet bekommen hat, waren wir in der Auswahl der Ziele schon stark eingeschränkt und von vorne herein auf die Touenski beschränkt. Sehr zum Missfallen unseres Freundes vom Bodensee, der während des ersten Aufstiegs des Öfteren und ziemlich lautstark seinen Unmut kundtat. Aber da waren wir ja schon unterwegs, was jetzt den langen Fin-dungsprozess außer Acht lassen würde. Bayerische Alpen, Königssee, Allgäu – wieder mal gingen viel zu viele Mails hin und her, bis endlich jemand den rettenden und diskussionsbeendenden Einfall hatte: Kleinwalsertal! Unmengen Schnee, deutsche Regeln trotz österreichischem Hoheitsgebiet und unser Guide Gunter kennt das Gebiet wie seine Hosentasche! Da das Kleinwalsertal nur von Deutschland aus zu erreichen ist, war es von Anfang an von den strikten Reisebeschränkungen befreit. Allerdings glich sich die österreichische Enklave bei den Liftschließungen den deutschen Regeln an – kein liftunterstütztes Tourengehen, keine „Hütte to go“ - earn your turn war angesagt! »
Aber dafür hatte sich unser Guide Gunter was sehr Schönes ausgedacht: Über ein paar schöne Hänge aufs Grünhorn. Die Aussicht auf ein paar unverspurte Hänge, einen Local Guide und die ausufernde Mail und WhatsApp Kommunikation ließ unsere Gruppengröße dann doch noch in Corona bedenkliche Größe wachsen. Aber nachdem wir eh den ganzen Tag draußen sein würden und schnell ein paar Regeln festlegten – jeder trinkt nur aus seinem eigenen Bier bzw. Flachmann, Abklatschen nur mit Handschuhen und keine Knutscherei am Gipfel – setzte sich der der Tross – natürlich erst nachdem noch ein paar Bier, zwei Laib Brot, diverse Würschtl, Käse und Speck in die Lawinenrucksäcke verschwanden – in Bewegung. Gunter gab Geschwindigkeit und Route vor: „Wir müssen erst mal 400 Höhenmeter durch den Wald, bis wir das Hochplateau erreicht haben.“ Vom steilen Spitzkehren-Wahnsinn hatte er da noch nix erzählt. Was Knobi, der einzige Telemarker in der Gruppe und dummerweise auch der Einzige, der in dieser Saison noch kein einziges Mal die Gleithölzer unter die Füße geschnallt hatte, zunehmend mit lautem Fluchen goutierte. Diese verstummten jedoch schlagartig, als sich der Wald lichtete und unsere Blicke auf die völlig unverspurten Hänge blickten. Fuck! Was geht denn hier ab. 1000 Möglichkeiten. Tiefer Powder und keine Spuren!! Außer uns waren nur zwei weitere Gruppen unterwegs. Eine Zweiergruppe und weit vor uns noch mal drei Tourengeher.
Für die Spitzingsee geschädigte Abordnung aus Oberbayern ein in diesem Winter noch nicht da gewesener Anblick: unberührte und (fast) menschenleere Natur! Ob es daran lag, dass wir unter der Woche unterwegs waren oder dass die Parkplätze offiziell gesperrt sind, war uns ehrlich gesagt ziemlich egal, als wir das erste Mal die Felle von den Ski zogen. Nach kurzem Rundumblick mit den dazugehörenden Infos von Gunter „da kannst Dich 30 Meter vom Ifen abseilen – a Wahnsinn“ oder „Siehst da drüber die Rinne am Karlstor – zwischen Großem und Kleinen Widderstein – auch super“ und „da hinter den Berg liegt gleich Warth am Arlberg“ ging es auf die erste Abfahrt. Schnee im Gesicht, Sonne am Himmel, da kann einem schon mal ein Jauchzer auskommen. Da die Lawinensituation entspannt war, keine Schutzzone die wir achten mußten im Hang lag, Guide Gunter nur den Treffpunkt zum Wiederauffellen vorgegeben hatte, konnte jeder in der Gruppe seine Line frei wählen. Und unverspurtes Gelände war ja auch mehr als genug da! Unser zweiter Anstieg über etwa 150 Höhenmeter erschloss uns eine schöne Cruising Abfahrt zu einer Alpe, an der wir es uns in der Sonne zur Mittagsjause gemütlich machten.
Leider war die Terrasse und etwaige Sonnenbankerl völlig von Schnee begraben, aber auch ein umgedrehter Ski kann gemütlich sein, wenn Getränke, Brotzeit und Begleitung passen. Die Allgäuer Fraktion beschrieb noch weiter Touren – mit oder ohne Lift, mit oder ohne Übernachtung, was natürlich sofort zu „Nach-Corona-Plänen“ führte. »
Leider konnten wir nach der Rast unseren Quoten-Telemarker nicht mehr überzeugen, die knapp 400 Höhenmeter von der Alpe bis zum Gipfel des Grünhorn mit uns in Angriff zu nehmen. Wieder ging es in gemächlicheb, nicht schweißtreibendem „Bergführertempo“ zurück zur ursprünglichen Route, dann am Grat entlang und mit ein paar Spitzkehren durch den letzten, etwas steileren Gipfelhang. Die Zugspitze auf der einen Seite, der Rüffikopf auf der anderen, der Hohe Ifen hinter und Mohnenfluh vor uns – und ein äußerst neidvoller Blick auf die nur wenige Kilometer entfernten Liftanlagen am Diedamskopf, die, weil ja „ganz“ in Österreich, allesamt in Betrieb waren.
Aber eigentlich brauchen wir ja gar nicht neidisch ins Nachbartal schauen. Wir stehen alleine am Gipfel! Wir haben die super Powder Abfahrt vor uns! Wir haben uns das heute ehrlich verdient! Earn your turn!
Selfie, umziehen, abfellen, Equipmentkontrolle und noch ein paar ermahnende Worte vom Guide und schon geht es einzeln in die Abfahrt. Die ersten Schwünge verhalten und fast so kurz wie die drei Wedelspuren, die von unseren Vorfahrern im Hang sind, geht dann bei allen der Gashahn auf und wir gleiten in Bigturns zum ausgemachten Treffpunkt. Dort stehen wir, jeder ein breites Grinsen im Gesicht, stolz, glücklich. Die Sonne tief und wir auf dieser kleinen Erhebung. Nach so einem Hang, nach so einem Tag. A Traum!
Da tun selbst die paar Höhenmeter Gegenhang nicht mehr weh, die Jung-Gun Jakob bereitwillig für uns spurt.
Als uns kurze Zeit später die Aufstiegsspur wieder bei unseren Autos, am immer noch menschenlehren Großparkplatz in Baad, ausspuckt, ist allen klar, dass dieser Winter ein wirklich außergewöhnlicher ist. Und hier im Kleinwalsertal vielleicht noch etwas außergewöhnlicher als anderswo. Man ist in Österreich, es gelten aber „deutsche Regeln“, es gibt wunderschöne Berge, aber es ist wenig los. Auf den großen Wanderparkplätzen ist Parkverbot und nach einer offenen Toilette muss man lange suchen. Aber Regeln hin und Einschränkungen her – ein Tag im Schnee ist ein Tag im Schnee. Oben ist besser als unten und Käs und Würscht könnens im Kleinwalsertal. Und Berg hams auch. Und Möglichkeiten. Und Schnee. Aber ned weitersagen, sonst geht´s da bald so zu wie am Hausberg in Garmisch.