Happy Faces, große Lines & Bruchharsch in Alaska
Ehrlich gesagt hatte ich etwas Anderes erwartet, klar. Nicht im Äußersten hätte ich damit gerechnet, diese Möglichkeit zu bekommen. Der Traum eines jeden Skifahrers. Ich wusste, dass ich irgendwann (wenn ich groß bin und genug Geld habe) nach AK gehe und die ganz großen Lines fahren werde. Dass es bereits letzte Saison passieren sollte, bedeutete für mich sehr viel. Natürlich beschäftigten mich Fragen wie „Ist es zu früh?“, „Bin ich ready?“. Erst im Januar brach ich mir in Kanada den Tibiakopf, der wider Erwarten sehr schnell geheilt ist, jedoch war meine Muskulatur immer noch ziemlich verkümmert. Ich fühlte mich gut, trainierte weiterhin hart und sagte (natürlich) zu.
Drei Wochen später fand ich mich im Flugzeug nach Anchorage. So ganz langsam wurde mir klar, was gerade passiert und wo die Reise hingeht. Nach dem Icebreaker am ersten Abend inklusive ein, zwei, drei Bier, ging es am nächsten Morgen Richtung Valdez. Genau genommen lag unser Ziel etwa 40km südlich von Valdez an der „Mile 45“.
Bereits kurz vor der Ankunft konnten wir unseren Augen nicht trauen und scouteten die ersten Lines durch die Frontscheibe. Die Aufregung schlug allmählich in Nervosität um: „Scheiße, das ist echt groß. Alles ist einfach nur groß.“
Nur kurze Zeit später rollten wir auf den Parkplatz vor der Lodge, auf dem bereits vier große RV’s standen. Wir wollten gerade anfangen unsere Ski abzuladen, doch dafür blieb keine Zeit, da wir sofort von der gesamten Crew in Empfang genommen wurden. Die Lodge hatte eine grüne Tür, die, wie wir bald erfuhren, nicht nur eine grüne Tür war, sondern auch eine große Bedeutung hat. „Das Durchschreiten dieser grünen Tür wird euer Leben für immer verändern - glaubt mir!“
Niemand außer Frank wusste zu dem Zeitpunkt so recht, was das bedeuten sollte. Frank ist der Creative Director von Blizzard/ Tecnica und zugleich Ruhepol, Spaßvogel, Motivator und Vaterfigur, der immer ein offenes Ohr für seine Athleten hat. Unser kleines Team komplettierten Robin McElroy, unser „Local“ und overall- badass, die schon viele Jahre in Alaska geguidet hat und Caite Zeliff, das Küken im Team und die wahrscheinlich beste Skifahrerin, die ich kenne.
Und das war dann auch schon unsere Heli-load für die nächsten sechs Tage – unser Pilot „Jag-Man“, Mike T unser Guide, Frank, Caite, Robin, ich, drei Paar Blizzard Rustler 11, ein Sheeva 11 und das Snowboard des Guides.
Am ersten Abend bei Alaska Rendezvous setzten wir uns zusammen und besprachen die kommenden Tage. Ziele, Erwartungen, Safety, Shotlists und hoben das hervor, was wir auf keinen Fall wollten. Genau diesen Klartext haben wir gebraucht, um uns auf Tag 1 einzustellen. „Wir filmen weder für TGR, noch für MSP. Niemand muss sich oder anderen irgendetwas beweisen. Wir werden alles vorher besprechen. Jede Entscheidung ist eine Teamentscheidung. Jede! Fühlt sich eine nicht wohl, halten wir uns nicht lange auf, sondern suchen nach Plan B, mit dem JEDE happy ist. Ihr dürft nervös sein, ein bisschen Angst haben, ihr dürft eure Komfortzone pushen, aber alles immer im Rahmen und genau bis zu dem Punkt, an dem ihr euch unwohl fühlt und eigentlich gern woanders sein würdet. Hier geht????s um Spaß, um Freude, um Adrenalin, um die Momente deines Lebens. Spaß haben, Mädels!“ Da war er nun, der Tag 1 im großen, mächtigen Alaska. Heli und Safety Briefings, Materialcheck, nochmals die Betonung auf „Warum sind wir eigentlich hier“, Aufladen und dann saßen wir auch schon im Helikopter mit Headset. Am ersten Tag lag das Hauptaugenmerk darauf, eine Perspektive über die Größe, Relation, Möglichkeiten und Conditions zu erlangen. Ich kann mich noch gut an unsere Reaktionen erinnern und es ist schwierig, diese in Worte zu fassen. Ein überwältigendes Gefühl der Unfassbarkeit. Ja, „unfassbar“ beschreibt das Terrain ziemlich gut. Wir waren neugierig und ehrfürchtig zugleich. Es war fast wie zuhause in den Alpen nur viel, viel größer.
Der erste Flug, der erste Gipfel, die erste Line. Ich fühlte mich nahezu unsichtbar und unbedeutend in dieser Weite. Die unglaubliche Schönheit Alaskas zog mich sofort in ihren Bann.
Wir verstanden allerdings ziemlich schnell, mit was wir es dort zu tun hatten. Der Schnee war sehr variabel, unmöglich einzuschätzen und zu beurteilen. 5 Turns auf Eis, 15 im Bruchharsch, 3 im schönen Powder und vom schönen Gefühl direkt wieder auf den Boden der Tatsachen zurück - Bruchharsch. Natürlich kann man angepasst fahren, die Schwierigkeit bestand darin, immer ready zu sein für den wechselhaften Schnee. Stets easy und kontrolliert. Übermut ist immer, und war dort, besonders fehl am Platz. Sobald du spürst, dass die Schneequalität besser wird, wirst du sicherer, man öffnet instinktiv die Turns und lässt den Ski mehr gehen. Schnell merkten wir, dass nicht wir den Berg, sondern er uns im Griff hatte. Er lehrte uns ziemlich schnell Gas rauszunehmen, durchzuatmen und smart zu fahren.
Okay, die Einstimmung auf Gelände und Schnee war geglückt und wir waren alle super gestoked und sehnten uns mit kindischer Vorfreude bereits den nächsten Tag am Berg herbei. Zurück an der Lodge warteten die Jungs bereits auf uns, Guides, sechzehn Skibums aus Aspen/ CO, die in den RV????s auf dem Parkplatz wohnten und sechs Manager von Blizzard/ Tecnica. Die Stimmung hätte nicht besser sein können. Jeder, wirklich jeder, ist mit dem gleichen dämlichen Grinsen im Gesicht herumgelaufen und genau das sollte auch die nächsten Tage so bleiben.
Tag 2 - die Line meines Lebens? Ziemlich sicher. Dieses Mal flogen wir in eine andere Himmelsrichtung. Die Faces, die wir nun zu Gesicht bekamen, waren eine komplett andere Liga als die von Tag 1. Wir Mädels schauten uns an, unsere Gedanken rannten so schnell wie die Rotoren des Heli’s. Jede einzelne Line, die wir abflogen, verschlug uns den Atem. Jede war eine Traumline. Die Bergkette die wir uns näher ansahen, war ca. 1km lang und barg eine Million Möglichkeiten. Wir entschieden uns den Hubschrauber am Fuße des Faces zu parken, auszusteigen und die verschiedenen Optionen zu evaluieren und diskutieren. Der Rest der Crew schaute eher lookers- right, mein Blick wurde jedoch komplett lookers- left gefesselt. Die letzte Line der Ridge. Wir tauschten uns aus, sprachen über mögliche Safespots. Caite und Robin entschieden sich für lookers-right. Für mich stand fest, dass ich die Line auf der anderen Seite fahren will, fahren „muss“. Das ist meine Line. Ich kann nicht sagen, was es genau war, das mich so dermaßen fasziniert hat. Sie war einfach nur wunderschön, anspruchsvoll und exponiert. Stürzen war keine Option. Für auch nur die kleinste Unsicherheit war kein Platz. Ich prägte mir alles genau ein, ich wusste jeden Schwung. Leider konnte ich von unserem Standpunkt aus das letzte Fünftel nicht einsehen und so bat mir Jag-Man, der Pilot, an, die gesamte Line abzufliegen, sodass ich mir alles genau anschauen und einprägen konnte. So langsam schlug mein Puls schneller, die Hände zitterten ein wenig und ich konnte an nichts Anderes mehr denken. Der Pilot balancierte den Vogel gekonnt mit einer Kufe an der Ridge und lies ihn schweben. Ein kurzes Kopfnicken vom Guide, ich erwiderte. Die Tür ging auf. Mike T reichte mir die Hand und gab mir zu verstehen, dass ich unten bleiben und stabil stehen soll. Er gab mir meine Ski aus dem Korb, der außen am Heli befestigt war. Mike T stieg wieder ein. Die Tür ging zu und der Heli flog Caite, Robin und Mike T auf die andere Seite. Alles ging so schnell. Da stand ich nun. Weite. Keinerlei Lebenszeichen. Ich sah keinen vom Team, nicht einmal den Helikopter. Kein Muks. Totale Stille. Ich atmete tief durch, schnallte meine 188cm lange „Waffe“ an. Keine falsche Bewegung. „Du darfst und wirst keine Fehler machen!“ Lächerliche Selbstgespräche folgten, in denen ich versuchte mir Mut zu machen und einzureden, dass ich das kann. Der Drop-In war sehr steil, steiler als alles, was ich je gefahren bin. Danach öffnete sich die Flanke, die etwas nach links hing. Nach etwa 400m wurde das Ganze dann schmal. Der Outrun war ca. 2m breit und sharky. Mit zitternder Stimme griff ich zum Funkgerät und teilte Frank mit, dass ich bereit war. Er wusste genau was los war und ich konnte meine Nervosität kaum verstecken. Nach fünf Worten von ihm, antwortete ich „Okay, dropping in 10…… ………..maybe.“
Mein Puls raste, die Knie schlotterten ein wenig. Ich riss mich zusammen, schaute zum Himmel, atmete tief ein und aus, schaute bergab und fuhr los. Überlegt und kontrolliert. 100% fokussiert und überzeugt. Im Outrun auf dem breiten Gletscher fiel dann alles von mir ab. Jegliche Anspannung wurde umgewandelt in einen rauschenden Endorphinschwall. Ich fühlte mich wie der glücklichste Mensch der Welt, war stolz und fiel Frank, der mir bereits von hunderten Metern Entfernung zujubelte, kraftlos und erleichtert in die Arme. Danach waren die beiden Mädels an der Reihe und ich habe mich über jeden einzelnen Schwung so gefreut, als wäre es mein eigener. Alle sind über sich hinausgewachsen, alle waren unglaublich happy, alle konnten das eben Erlebte kaum fassen. Wir waren ein Team. Zu dem Zeitpunkt fühlte es sich an, als gehörte uns die ganze Welt und wir könnten alles schaffen. Gemeinsam. Als Team. Und genau das ist das wonach wir streben. Diese wahnsinnig intensiven Momente der Freude. Es zählt nur dieser eine Moment und genau dieser eine Moment wird zur einzigartigen Erinnerung, die wir nie vergessen werden. Die kommenden Tage waren nicht weniger ereignisreich. Jeder Tag war ein absolutes Highlight! Der letzte Abend war ein Geschenk und unterstreicht nochmals das soeben Beschriebene. Es geht um’s Skifahren, aber es geht eben auch um Zusammenhalt, das gemeinsame Erleben, das Teilen der Freude. Wir versammelten uns um das riesengroße Feuer, hielten inne und ließen die letzten Tage Revue passieren. Der Headguide von Alaska Rendezvous trat hervor und sprach zu uns allen. Worte der Wahrheit, Worte aus dem Leben - Privilegien, Dinge, die uns wichtig sind, Passion und Träume. Ein Pep talk über das Wunder „Leben“ und dass wir auch für diejenigen weitermachen und unsere Leidenschaft, die uns alle so verbindet, verfolgen, die nicht mehr bei uns sind. Jeder einzelne war in Gedanken und verarbeitete reflektierend das Gesagte. Schweigen. Berührtheit. Die Rede endete, indem wir einen Kreis bildend, Arm in Arm am Feuer standen und anfingen leise zu summen. Das Summen wurde allmählich lauter bis zu dem Punkt an dem einfach alle aus vollster Kehle schrien. Ein Schrei in den Himmel. Ein Schrei der Dankbarkeit. Ein Schrei für diejenigen, die wir so sehr vermissen, mit denen wir die Freude nach einer gemeinsamen Line leider nicht mehr teilen können. Und als wären unsere Rufe erhört worden, bekamen wir die wohl surrealste Reaktion von Mutter Natur.
Was dachte sich Mutter Natur wohl, als plötzlich 50 Menschen, mitten im Nirgendwo auf einem Highway in Alaska auf der Straße lagen und den grün-pink tanzenden Nordlichter über unseren Köpfen wie ein Rudel Wölfe zujaulten? Ja, genau um diese Momente geht es. Aus Fremden wurden Freunde. Nun weiß auch ich, was es mit dieser besagten grünen Tür auf sich hat. Der Guide hatte Recht und ich würde immer wieder durch diese grüne Tür gehen. Keine Sekunde dieser Woche möchte ich missen. We had the best day ever. Literally every day!