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„No sludd – no slaps“


Mit Fahrrad und Skiern durch Norwegen.

Die Tür fällt hinter mir ins Schloss, als das Telefon in der Tasche vibriert. Patricks Stimme am anderen Ende des Hörers stockt. „Setz dich mal kurz, ich hab schlechte Nachrichten!“

Es ist Anfang März 2023. In wenigen Tagen wollen wir, Patrick und Kilian, mit dem Rad von Oslo auf die Lofoten fahren. Im Winter, mit ausgiebigen Skitouren auf dem Weg dorthin.
Aber es kommt wie immer etwas anders als geplant.

Bislang war meine Erfahrung der letzten Expeditionen immer, dass etwas Dummes währenddessen passiert. Diesmal schien es allerdings schon von Anfang an verhext.
Bei meiner ersten Fahrradtour durch die entlegensten Ecken im Pamir 2015 ging meine Schaltung kaputt und ich musste 2000km mit drei Gängen fahren. Und bei einem Bikerafting Trip in Yakutien durfte mein damaliger Reisekompagnon zuschauen, wie ich fast im Wildwasser ertrunken wäre.

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„Ich habe mir den Daumen zertrümmert.“ sagt Patrick leise. Etwa eine Woche vor unserer Abreise nach Norwegen, scheint uns das Karma nicht zu wohl gesonnen zu sein.
Denn auch dieses Mal ist es von Vorteil, gesunde Daumen zu haben – fürs Rad- und Skifahren. Im Winter. Mit allem, was dazu gehört – Zelt, Kocher, autonom, aus eigener Kraft.

Die Tage vergehen und ein weiteres Mal zeigt uns die Erfahrung auch: Das Glück ist mit den Dummen. Problemlos wird Patrick nach ein paar Tagen am Daumen operiert. Der Arzt ist nur halbwegs begeistert von unserem Vorhaben.
Wir starten leicht verzögert mit Titanplatte, Daumenschiene, einem modifizierten Fahrrad nach Norden. Damit Patrick mit seiner gesunden Hand schalten kann, bauen wir kurzerhand die Schaltung um.
Leider mussten wir vom ursprünglichen Plan, mit dem Zug von Nürnberg nach Oslo zu fahren, abweichen und packen zwei Fahrräder, Skitouren Equipment und alles weitere ins Auto.

Norwegen, ein Land der Kontraste, hat uns schon seit einer geraumen Zeit in den Bann gezogen. Allerdings bislang nur im Sommer, vom Nordkap radelnd (Kilian 2021) und zum Nordkap hin (Patrick 2018) war für uns beide schon spannend.
Und im Winter verwandelt sich Norwegen zwar in ein Skifahrerparadies, allerdings mit erschwerten Bedingungen für alle Strecken, die wir mit dem Rad zurücklegen wollen. Wie wir später herausfinden dürfen. Und das wären nach Plan etwas um die 2000km.

Unsere zweirädrige Reise beginnt in Oslo, mit einem weiteren zeitlichen Verzug, da sich nach zwei Tagen Schneefall der erste nördliche Pass nach Hønefoss als nicht befahrbar erweist. Zumindest nicht mit dem Rad. Mitte März erregt das schlechte Wetter in Norwegen natürlich keine Gemüter – verglichen mit dem Anblick, den wir wohl hinterlassen haben.
Die Norweger selbst sind sogar erstaunt und wünschen uns in regelmäßigen Abständen „Good Luck!“ als wir ihnen von dem Vorhaben berichten.

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Unser erstes Zwischenziel ist die Gegend um Hemsedal, ein bekanntes Wintersportgebiet, welches wir nach vier Tagen auf dem Rad erreichen. Diese ersten 230 Kilometer lehren uns Demut, denn die Reisegeschwindigkeit ist überschaubar schnell. Zu den ungeräumten Radwegen, eisglatten Nebenstraßen und dem unbeständigen Wetter gesellt sich unser schweres Fahrrad. Und dass, obwohl wir die Ausrüstung schon auf ein absolutes Minimum reduziert haben. Die Skitourenausrüstung, Zelt, Schlafsäcke, Kameras, eine Drohne und Lawinenausrüstung passen auf die Räder und alle möglichen Lücken sind gefüllt mit Lebensmitteln.
Geschätzt wiegt das Rad in voller Ausstattung etwa 50kg.
Wie wir auch nach wenigen Tagen feststellen dürfen, brauchen wir auch deutlich mehr Energie als sonst. Mit Temperaturen um den Gefrierpunkt und nächtlichen Minus-Graden friert es uns schnell. Unsere Motivation, früh aus dem Schlafsack in die Kälte zu steigen, ist holprig, während wir tagsüber auf dem schweren Rad schnell ins Schwitzen kommen.
Eine ungünstige Kombination, denn trocknen lässt sich die nasse Kleidung kaum.

In Hemsedal erwartet uns ein kleiner Vorgeschmack auf die anstehenden Tourenverhältnisse: schon seit Anfang des Winters herrscht in ganz Norwegen eine schwierige Lawinensituation. Auslöser dafür ist eine Schwachschicht, die in ungünstigen Lagen eine hohe Instabilität mit sich bringt.
Und die Wettervorhersagen bringen noch mehr Schnee in den kommenden Tagen.
Zeitweise ist die Sicht bei unserer ersten Tour so schlecht, dass sich Himmel und Erde nicht mehr unterscheiden lässt und wir dankend im Wald abfahren. Die Bäume sind unsere einzige Referenz für die Formen der Landschaft.
Die ersten Kurven ziehen wir im frischen Pulverschnee. Die Mühen haben sich gelohnt!

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Im Supermarkt kaufen wir hier ein paar Dosen teures Bier. Dass sollte die kleine Operation etwas erleichtern, die Patrick über sich ergehen lassen muss. Zwei Wochen sind seit seiner Daumenoperation vergangen und die Wundnähte müssen entfernt werden. Zum Glück haben wir im Heizungsraum eines ausgestorbenen Campingplatzes etwas Schutz und Licht gefunden. Patricks Daumen hat die Strapazen der ersten Woche auf dem Rad gut überstanden und die Wundheilung ist gut.

Uns zieht es nach ein paar Tagen weiter gen Norden in Richtung Sogndal und auch hier zeigt sich, wie schwer die Reiseplanung ist. Bei schlechtem Wetter oder zu viel Wind werden die Fjellübergänge gesperrt – bedeutet, dass schnell 200 bis 300 Kilometer Umweg anstehen könnten. Der Wind erreicht hier schnell dreistellige Geschwindigkeiten.
Das wäre mit allem machbar, außer mit dem Rad.
Ebenso Tunnel – von denen es in Norwegen unzählige gibt, sind für uns Radfahrende gesperrt und alte, parallele Straßenverläufe nicht geräumt. Allzu oft tauschen wir gute Asphaltstrecken mit Eispisten. Allzu oft geht es nur sehr langsam vorwärts und oft sind wir uns nicht sicher, ob wir nicht doch umdrehen müssen.
Wir erreichen den Ort Sogndalsfjøra, spät abends. Die Bürgersteige sind längst hochgeklappt und wie die letzten Tage merken wir, dass Norwegen im Winter kaum von Touristen besucht wird. Alles hat geschlossen. Eine vermutliche Jugendherberge ist nur saisonal geöffnet. Kurzerhand schlafen wir dort in einer Turnhalle, in der Hoffnung, dass uns nachts kein Hausmeister entdeckt. Wir sind zu müde, um im Dunkeln einen Platz zum Zelten zu suchen.

Nach weiteren langen Etappen im Sattel erreichen wir Sunnmøre, die südliche Küstenregion der norwegischen Fylke Møre og Romsdal. Gelten hierzulande die Lofoten und Lyngen als norwegische Traumziele, so dürfen wir feststellen, warum zurecht die Sunnmøre-Alpen der Top-Spot in Norwegen sind.
Aus dem Wasser ragen steil die bewaldeten Berge. Entlang den Fjorden reihen sich kleine Dörfer mit markanten Holzhäusern und frischer Powder ziert die Gipfel. Um jede geradelte Kurve finden wir ein weiteres optisches Highlight.

Das Ski-Touren in Sunnmøre ist wie eine Schatzsuche, bei der wir keine Ahnung haben, was als Nächstes kommt. Sanfte Hügel, schroffe Klippen und atemberaubende Ausblicke ins Meer mischen sich mit unberührtem Pulverschnee und erstklassigen Abfahrten.
Und trotzdem schwingt bei uns immer eine gewisse Unruhe mit, denn die Lawinengefahr ist real. Als beim Aufstieg zum Gipfel des Saudehornet bei Orsta mehrere Tourengeher vor uns eine Lawine auslösen, wird klar, dass wir die kommenden Tage früh aufstehen und steile Südhänge meiden sollten.
Niemand kommt zu Schaden, aber ein weiteres Mal wird uns klar, dass wir zwar hier sind, um Spaß zu haben, aber dieser sollte sicher sein.

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Uns dämmert auch langsam, dass unser ursprünglicher Plan von Oslo bis auf die Lofoten zu fahren etwas optimistisch kalkuliert war. Wir kommen mit dem Rad weniger schnell voran und wollen dabei auch nicht auf die guten Skitage verzichten. Nach längerer Überlegung beschließen wir, nicht weiter nach Norden zu fahren, sondern die besten Touren in Sunnmøre und dem benachbarten Romsdal anzusteuern.
Das gibt uns die Gelegenheit, auch mehrere Tage an einem Ort zu bleiben und die lokalen Touren zu gehen. Im lokalen Supermarkt Hellesylt, einem kleinen 700-Einwohner Dorf, werden wir auch zum Gesprächsthema, nachdem wir uns an mehreren Abenden am Heizkörper aufwärmen.
Der lokale Bergführer berichtet uns von weiteren spannenden Touren, die sich lohnen und für uns steht schnell fest, dass es viele weitere Trips nach Norwegen benötigt, um die immensen Möglichkeiten nur ansatzweise auszukosten.

Etwa 1000 Kilometer später befinden wir uns in Åndalsnes. So langsam merken wir den April, denn die kräftigen Sonnenstrahlen verwandeln den Schnee der steilen Südhänge in „Slaps“ – norwegisch für Schneematsch. Beziehungsweise ist das mehrfach angetauter Harsch, der teilweise schwer zu befahren ist. Wir träumen von weiteren Tagen auf Skiern, jedoch sitzt uns die Zeit im Nacken. Daheim in Deutschland wartet wieder die Arbeit und wir müssen uns langsam aber sicher wieder nach Süden orientieren.

Nachdem wir die letzten Wochen hauptsächlich entlang der Küste und den Fjorden unterwegs waren, wollen wir noch einen letzten Abstecher in den Jotunheimen Nationalpark machen. Der riesige Park befindet sich im Landesinneren. Über die Hochebene zwischen Otta und Beitostølen führt die Panoramastrasse Valdresflye. Diese ist zwar laut staatlichem Straßendienst bis Ende April geschlossen, aber dank kurzer Internetrecherche doch befahrbar.
Hier merkt man auch deutlich den klimatischen Unterschied zur Küste. Die Nächte sind eisig und weit unter Null. Kalter Wind pfeift über die Ebenen und liefert uns ein paar sonnige Tage auf Skiern. Butterweich ist der Pulverschnee und die langen Zufahrten und Zustiege machen sich bezahlt.

Patrick und ich sind leicht melancholisch beim Gedanken, dass dreieinhalb Wochen so schnell vergangen sind. Zwar sind wir noch weit entfernt von den Lofoten, aber die Motivation und Begeisterung diese zu erreichen weiterhin da.
Die letzten Nächte unter kristallklarem Himmel. Die letzten Tage im Sattel und umgeben von unzähligen Gipfelmöglichkeiten. Die letzten Tage mit auf ein primitives Minimum heruntergeschraubtes Maß an Bedürfnissen wie Schlaf, Ernährung, Hygiene.

In drei Tagen fahren wir die 270 Kilometer von Beitostølen nach Oslo zurück, wo wir uns auf eine warme Dusche freuen. Bei der Ankunft in der norwegischen Hauptstadt gelüstet uns nach einem teuren Luxus: bayrisches Hefeweizen. Dieses kosten stolze 14 Euro pro Glas und schmeckt nach einem gelungenen Abenteuer.

Schon jetzt steht fest: Norwegen, wir kommen wieder mit Rad und Skiern. Im Winter. Aber mit etwas mehr Zeit und gesundem Daumen.

Text und Fotos: Kilian Reil und Patrick Endriss




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